Horst Haffner
Die Verantwortung des Westens für das Erstarken von
Tendenzen einer "religiösen Rechten" in den vorwiegend islamischen
Ländern der Welt
Die Gleichsetzung islamisch
geprägter Soziokultur der subalternen Klassen mit dem politischen
„Islamismus“ der Rechten ist unangemessen
Der derzeitige Kampf des Westens (d.h. der USA sowie der
NATO) gegen die religiöse Rechte in Afghanistan, in Pakistan, zwei
historisch gesehen fraglos „islamischen“ Ländern, stärkt den
Rückhalt dieser Leute in der betroffenen Bevölkerung, und
zeitigt gleichzeitig Effekte in anderen Ländern, etwa der Türkei,
in Marokko, auch anderswo. Und dies vermutlich vor allem, weil sich
die auch medial zum Feindbild gewordenen „religiösen“ Kräfte
als Verteidiger der kulturellen Identität und nationalen Unabhängigkeit
aufspielen können.
Man sollte aber nicht vergessen, dass es die konservativen
Eliten im Westen, mit Einschluß der US-amerikanischen religiösen
Rechten (der „Christian Right“) waren, die diese Leute teilweise über
Jahrzehnte hinweg gestützt, gefördert, aufgebaut haben (so in
der Türkei, in Pakistan, in Afghanistan, in
Israel/Palästina*) und die sie
schließlich bewaffnet haben – mindestens die Muhaddjedin.
Rekrutiert in den Flüchtlingslagern Pakistans, den Koranschulen Pakistans.
Eingesetzt in Afghanistan, demselben Land, indem man eine Spielart dieser
„Religiösen“ heute als Terroristen bekämpft.
Das Ganze hat aber manch eine Vorgeschichte: so stützten
sich C.I.A. und Suharto in Indonesien bei ihrem blutigen, genozidähnliche
Dimensionen annehmenden Putsch Mitte der 60er Jahre auf die religiös-faschistische
islamische Rechte. Laßt uns diese Rechte nicht verwechseln mit der
muslimischen Mehrheit der Bevölkerung. Sie hatten soziale Interessen,
die
eigenen, im Kopf. Und die Prediger, die sie ideologisch stützten,
waren aus den verschiedensten Gründen auf ihrer Seite, gegen die Menschen
auf dem Lande, die sich für eine Landreform einsetzten.
Mit Blick auf die Türkei lobte Reader’s Digest schon
in den späten 60er oder frühen 70er Jahren das von westlichen
Experten empfohlene Programm der Islamisierung, das Unternehmen verpflichtete,
zugleich mit jeder neuen Fabrik gleich daneben eine Moschee zu erbauen,
um durch religiöse Einbindung der neu in die Fabriken hineinströmenden
früheren Dorfbewohner den Einfluß der linken Gewerkschaften
zurückzudrängen. Während die „Kemalisten“ auf das Rezept
der Militärdiktatur und auf blutige Repression setzten, während
Linke ins Gefängnis wanderten, unter der Folter litten, viele ermordet
wurden, andere ins Exil gingen, wuchs – je mehr die linken Kräfte
geschwächt wurden – die politisch-rechte, die politisierte
„religiöse“ Strömung: heute ist sie, in Gestalt der AKP, im Westen
hoffähig: ein wenn auch wackeliger Partner der USA und der NATO, der
„nach Europa“ schielt, aber auch nach Westasien. Objektiv ist die Türkei
ein Brückenland, erfasst von der „Globalisierung“, während in
der verunsicherten Bevölkerung das „islamische revival“ – ein
bestimmter, auf rechte bis rechtsradikale Weise politisierter „Islam“,
der partikulären gesellschaftlichen Interessen dient – weiter
um sich greift und die Köpfe vernebelt.
In Pakistan stand die „Islamisierung“ der lange Zeit
– trotz der schmerzhaften, von religiösen Spannungen und Identitätsvorstellungen
geprägten Trennung von Indien – im großen und ganzen stark
säkularen Gesellschaft schon seit den 70er und 80er Jahren im
Kampf gegen Gewerkschaften und progressive Parteien auf dem Programm
von Militärdiktatoren, die allesamt von den USA unterstützt wurden.
Was Ägypten angeht, so gewährte Großbritannien
führenden „Islamisten“, die gegen die links eingefärbten Nasseristen
und damit den säkularen Staat agitierten, in London Asyl und ermöglichten
ihnen zweifellos, weiterhin von dort zu agitieren, was im Rahmen britischer
Meinungsfreiheit verständlich war, aber auch dem westlichen Interesse
an Schwächung des damals blockfreien Ägypten entsprach, das man
so zu destabilisieren hoffte.
In Khartoum, über Jahre hinweg, stand ein fanatischer
religiöser Kleriker, der später von den USA als wichtige Person
einer terroristischen Bande gebrandmarkt wurde, auf der Gehaltsliste der
C.I.A. Brauchte man auch hier die Religiösen, um „Nasseristen“, „Pan-Arabisten“
zu schwächen? Vermutlich. Doch heute ist ihnen das „islamische Regime“
auch nicht recht, das ökonomisch mit China anbändelt.
Im afghanischen Bürgerkrieg, in den 80er Jahren haben
die „Amerikaner“ (das heißt, die C.I.A. und das Pentagon, und damit
die Regierung in Washington) die religiöse Rechte bewaffnet, und zwar
von Pakistan aus und mit erheblichen negativen Folgen für beide Länder.
Es waren reaktionäre „Islamisten“ (die Muhaddjedin),
die sie aufbauten, die sie förderten und stärkten. Gegen deren
innenpolitische afghanische Gegner. Dann auch: gegen die diesen zu Hilfe
eilenden Russen. Eine wesentliche Konsequenz des Sieges der von den USA
unterstützten Muhaddjedin war die Politik der Umkehrung der Fortschritte,
die hinsichtlich der Emanzipation der Frauen zumindest in den Städten
und in der "Mittelklasse" erzielt worden waren, sowie aller Ansätze
zu einer (notwendigen) Landreform.**
Seit dem Zerfall des Ostblocks (Ende der 80er Jahre) und
der Zunahme US-amerikanischen Appetits auf zentralasiatisches, iranisches
und irakisches Öl scheint eine Kehrtwendung des Westens im Verhältnis
zu den alten Alliierten, der religiösen Rechten in Teilen der
islamischen Welt, unverkennbar.
Ob dies wirklich - abgesehen von Afghanistan - so ist
oder Teil eines undurchsichtigen Propaganda-Schauspiels, wird sich zeigen.
Jedenfalls hat es den Anschein, als sei etwas aus dem
Ruder gelaufen. Denn mindestens im Fall der Taliban ist offensichtlich:
diese Leute entpuppen sich als alles andere denn willige „running dogs“
oder Quislinge der USA, sondern bestehen auf den „eigenen Interessen“.
Die Weigerung der religiösen rechten Regierung in
Afghanistan, während der Römerberg-Gespräche auf die UNOCAL-Forderungen
einzugehen, führte auf diesem informellen Treffen zu Drohungen der
US-amerikanischen Diplomaten, wie der WDR damals berichtete. Die Folge
der Intransigenz der Taliban-Regierung war der Krieg und die Einsetzung
des damaligen UNOCAL-Repräsentanten für Afghanistan, Mr. Karzai,
als Protektorats- Bevollmächtigter und nomineller Regierungschef Afghanistans.
Sein Herrschaftsbereich erstreckt sich allerdings nicht
einmal über den Vorplatz vor seiner Ehrentribüne bei Paraden
im Zentrum von Kabul. Die westliche Kriegsführung in Afghanistan erinnert
immer mehr an die US-amerikanische in Vietnam, was das Erstarken der Gegner
der westlichen Besatzung hinreichend erklärt.
Das Überschwappen des Kriegs in die pakistanischen
Grenzprovinzen lässt Schlimmes für Pakistan befürchten –
wie einst für Kambodscha. Schon jetzt produziert der Krieg in Pakistan
Tote und Verwundete unter der Zivilbevölkerung und Hunderttausende
„interner“ Flüchtlinge, auf der Flucht im eigenen Land vor Kämpfen,
an denen die eigene Armee und die USA die Hauptschuld tragen.
Das wird das Land weiter polarisieren und wahrscheinlich
der jetzt offen antiwestlichen religiösen Rechten weiteren Zulauf
bescheren. Die Linke wird sich dort bei einigem self-respect kaum
auf die Seite des Westens schlagen können. Sie zahlt – zwischen beide
Fronten eingekeilt – vermutlich weiter die Zeche, so wie sie und
nicht die religiöse Rechte schon unter den Militärdiktaturen
von Ayub Kkan, Zia Ul Haq und Musharraf das Hauptziel der Repression war.
Dabei ist sie die einzige politische Kraft, die entschieden für eine
säkulare demokratische Gesellschaft eintritt.
Was die Strategie des Westens angeht, so sind ihre mit
Gewissheit voraussagbaren Ergebnisse: Tod, Verwüstung, in jeder Hinsicht
gesteigertes Leiden der Zivilbevölkerung, politische Radikalisierung
(nach rechts?) und/oder Apathie. Schon jetzt sehen wir in Afghanstan, in
den westlichen Grenzprovinzen Pakistans, im Irak, in Syrien Barbarei, gesellschaftlichen
Zerfall und Rückschritt, Verarmung, überhaupt Zunahme aller Merkmale
der Krise und von Rückständigkeit – und ein gewiß
in Washington applaudiertes Ergebnis – die starke regionale Abbremsung
der „Bevölkerungsexplosion“ einer „nicht-weißen“ Bevölkerung.
Diese Ergebnisse des Bremsens demographischen Wachstums
unter rassistischen Vorzeichen hatte bereits der amerikanische Krieg in
Kambodscha und Vietnam und noch ausgeprägter der Krieg, den die deutschen
Faschisten nach Osteuropa und Südosteuropa trugen.
Im Westen sollten sich diejenigen Linksliberalen, Grünen
und Linken, die eine Intervention in Afghanistan im Namen der Freiheit
und der Menschenrechte begrüßt haben, allen Ernstes fragen,
ob die Folgen des Krieges ihren Hoffnungen und Zielvorstellungen entsprechen
und ob sie weiterhin diesen Krieg gegen die afghanische und inzwischen
auch pakistanische Bevölkerung unterstützen können.
________________
* In Israel/Palästina bauten die dem Westen verpflichteten dominanten
sozialen Kräfte gleichsam die Hamas mit auf, förderten, wo sie
konnten, diese „Religiösen“, in der Hoffnung, die PLO zu schwächen
und ganz besonders: die Linke in der PLO zu schwächen, die Richtungen,
die verknüpft waren mit Namen wie Hawatmeh und Habash.
** “In Afghanistan, the Taliban oppressed Afghan women, but the U.S.-backed
mujahedin warlords who had earlier ousted the pro-Soviet government were
the first Afghan government to restrict women's rights.”
(Zoltán Grossman, “Ukraine: The Enemy of Your Enemy is Not Always
Your Friend ” March 11, 2014 http://www.rootsaction.org/news-a-views/769-ukraine-the-enemy-of-your-enemy-is-not-always-your-friend
)
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