Jo Warner
Trauergesang
1
wo kein stein mehr
auf dem andern stand
verwandelten sie den schutt
zu staub
menschenfleisch garten sie
in containern auf ihren LKWs
und ihr erfindungsreichtum
setzte die luft über den gehöften
in flammen
wellen des unterdrucks
wirbelten hunde und
kinder durch die luft
zerfetzten ihre lungen
aerosol war eine name für die hölle
von menschen gemacht
und UNOCAL ihre agentur der vermittlung
Welch trauriges land
in dem die Buddhas von Bamian
nur eine erinnerung sind
trister / und darum menschlicher
als jede „Mutter der Bomben“
Die ohne recht kamen
wieder und wieder
in das Land der Berge
irrsinnige / suchend nach wegen
zum schwarzen gold
sie treten mit füßen wovon sie faseln
rechte, rechte von mensch und tier
das recht zu leben: es gilt ihnen
weniger als nichts
es ist nicht ihr blut
das sie vergossen sehn
doch immer noch: geschunden was lebt
zwischen zertrümmerten steinen
staubpisten auf denen militär
unterwegs
Aus dem himmel fällt feuer
immer noch
auf hochzeiten
totengesänge
Irrsinnig sei es, dies volk
Oder doch:
ihre mullahs
Irrsinnig schon: in den irrsinn getrieben
wieder / wieder
in verzweiflung, tod
Sie bringen das glück ihnen jetzt
wie einst Pizarro den inkas
13. Sept. 2007
2
junge holländer auf dem weg
zu künstlichen träumen
ein filmmacher
aus Rapallo
vor gleißendem stein
himmel
ohne wolken !
Bewirtet als gast in farbigen zelten, er -
schreibt dann momente
ins papier
das er an freunde er schickt:
Notizie
di Bamian
als sei der Khaiber Pass ein prozessionsweg
ins land der Sufis
und tanzenden bärte
kein windhauch bringt andres
als frische kühle
der gipfel
wo die skelette sich schmiegen
in erde
wo bewaffnete fremde
zurückgedrängt damals...
ja, damals
als sie India nahmen...
3
erinnert euch
kiffer und globetrotter
sucher, poeten
an was ihr nicht saht
Das elend der städte
Analphabeten die
hungernden bauern,
sie die das pachtgeld
zusammenkratzten aus der dürren ernte
für die Herren
während sie ihre weiber schlugen
für widerworte
mit dem segen der mullahs
4
Könnt ihr euch vorstellen ihn -
den traum der lehrer, der studenten
als sie kamen ins teuer geword'ne
hauptstädtische leben
dort ins königliche
Kabul?
Ein schiefer traum
von fortschritt
heißt es
von entwicklung
freiheit und gleichheit, auch -
und der putsch
half ihm ans tageslicht
öffnete die schulen der hauptstadt
für die unteren
nahm den landbesitzern
die pachteinkommen
forderte das monopol des lehrens
der geistlichen heraus
die zu sehr den geist der alten zeit
zelebrierten
zu sehr verbandelt waren
mit den mächtigen,
den besitzenden
auf dem land
5
Doch auch das Volk hing
an den alten Gesängen
ehrte und fürchtete die alte Macht -
die Tradition
Was waren ihnen die Miniröcke der Schülerinnen
was der zerfetzte Pachtvertrag?
Was riß sie hin und her
in der ins Stürzen kommenden Zeit
die rasend das Neue brachte
während die Rasenden an der Macht in der Hauptstadt
die NEUEN HERRN, unsicher ihrer selbst
und des Wegs ungewiß,
sich belauerten
verhaften ließen, was anders
NEU war als sie
und Arbeit gaben
den Exekutionskommandos?
6
dergleichen tut man nicht
ungestraft in einer Zeit
kalt wie der Krieg, genannt der Kalte
wo einflußzonen Persien
zu zerteilen drohten
bis die oil companies
und die Company Infamer Attacken
und des stillen tötens
putschten, / gegen Mossadegh
und den Shah-in-shah inthronisierten
als puppe Washingtons -
oberster folterer eines apparats
der keine hemmungen zu haben befahl
vor dem kochen von lebendem fleisch
eines vierzehnjährigen dem sie die beine steckten
in den eimer mit siedendem wasser
beim verhör
7
wenn man könige braucht
und fast-feudale strukturen
für das öl, seinen Nachschub
und die profite
ist jede revolution nur gefahr
die zeitungen meldeten neue funde
in der steppe im norden
leitungen wurden geplant
häfen für tanker aus fernost
in Baluchistan
von Pakistan aus zog man die strippen
ließ puppen tanzen
stärkte den widerstand der schlimmsten
kräfte im land der Aufghanen
derer die haßten weil sie verloren
was nie ihnen zustand
wie es jetzt hieß
stärkte jene die kämpften
gegen das eigene fleisch
So stürzte / geschwächt von dem
ansturm von innen und außen
der träumende lehrer
und mit ihm sein traum
die schar der vom Neuen träumenden
ward eingespannt ins joch der disziplin
auch sie von außen importiert
8
Wo freiheit / gesucht noch gestern
sich verkehrt in ihr and'res
das Neue sich blutig vermischt
mit dem schrecklichsten Alten
verlieren rebellion und veränderungswille
all ihre kraft
die / die sich nun gegenüberstehn
sind nur noch söldner
doch die söldner der alten Herren haben die
„stinger“ raketen
die söldner der neuen Herrn nur den makel
des fremden besatzers
so mischen sich amerikanische
technik der waffen und
zum leben erweckte geister
gespenster mit namen „alter islam“
und „besingen der heimaterde“
„züchtiges leben“ und „verachtung
der fremden ideen“
treten entgegen dem Schlechten Neuen
das sich selbst verrät
mit alten methoden erlernt vom feind
Jahrzehntelang zerfetzte das toben des kriegs
die schöne erde der menschen
zerbrannte zu ruß und asche die ernten
zerstückelte leiber
ließ orte
und seelen verwüstet zurück
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bringt nichts zurück
die momente der hoffnung?
Ist nur noch denkbar
der faule odem der herrschaft -
wo vertreter der fremden
herrschend wie’s heißt / in Kabul
bejammern die bombardierten verbrannt im
notdürftig geflickten gemach?
Ist nur noch möglich der jammer
und unterwerfung?
Und wenn schon - und wem denn sich beugen
wo falscher widerstand gärt gegen fremde
die alte wunde im innern
schwärt wie eh und je
und die unteren nicht wissen
wohin und mit wem
da sie nicht lernten zu gehen
den eig'nen, den weg
und auf eig'ne faust in eigener
sache und suche
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so aber sind sie verloren schon jetzt
und auf lange
vertrauend nicht halb
den worten von ruhe und ordnung / von frieden
wo kriegsherrn schachern
paktieren und pakte brechen
und jammernd und protestierend
die reste der „linken“
gazetten voll schreiben
im fernen Paris
Ihr land, es ist wahr, ist das aller Afghanen
das jetzt
vor die hunde geht
weiter und weiter hinab
in den abgrund als spielball
Wo aber ist es zu sehen / das ende des schreckens
Wo jener neue traum / jener anfang
einer neuen befreiung
aus eigener kraft
und eigenem wollen?
16. Sept. 2007
(leicht überarbeitet
am 24. Mai 2015)
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