Andreas Weiland

Werner Nekes'  "Musikfilm" Johnny Flash - Eine Hommage an Karl Valentin
 

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Johnny Flash reiht sich ein in die heiteren Grotesken, die uns so traurig machen können.  Chaplin, Valentin, Woody Allen. Das, was Sie schon immer wissen wollten - hier erfahren Sie's endlich. Oder wieder nicht? Alles: Über den kleinen Unterschied zwischen siebzehn Mark fuffzig, und siebzehn Mille zuzüglich fünf Blauen. Graham-Brot, und Sahnetörtchen. Einer Mundorgel, und dem Ding, das Sie aus 'ner Pfarrkirche kennen sollten, in die Sie vermutlich mal hineingeraten sind - erinnern Sie sich noch? Hier haben Sie's endlich: einen Film über Arbeit, Familie, Einkommen. Wo ich mein Einkommen hab, da ist gut auskommen - da haben auch Sie ihr Vaterland. Und mit dem Arbeitslohn - na, man streckt sich eben nach der Decke, auch in Mülheim, der triftigen Stadt. Hier im Film trifft man auf sie (wie lange noch muß es dauern, bis wir so, aus der Glamour-Welt Hollywoods hinaustretend, unserer miesen Wirklichkeit auch in anderen Filmen begegnen können?); hier sieht man sie: kleine Unterschiede, vom Alltäglichen gebrandmarkt. Das feuerscheuende Blag des verschollenen Feuerwehrmanns. Oder ist's das Muttersöhnchen, geboren im Pütt, dem der Schraubenzieher und damit der Vorgang abbricht, als er die Leitung flickt? Kommen Sie, sehen Sie selbst: Hier ist einer jener raren Momente, in denen der abendländische Verstand aus der Reihe tanzt. Vom Kopf auf die Füße sozusagen - gewagter Überschlag! Wie aber "kommt man auf die Füße", wie macht man Karriere? Liebe? Feierabend?? Ja - sieht man's WIRKLICH, wo's lang geht? Zeigt der Film, wie ein Elektrikerlehrling fickt, während die ehrwürdige Mutter im Kleiderschrank eingesperrt, der Alkoholpegel des Bengels weit über Normalnull ist? Ja, das müßte sich doch zeigen, irgendwann, ob nun die Entscheidungen im WDR gemacht werden, oder von einem gewissen Fettsack von Public-Relations-Menschen, der sich getraut, steilste Karrieren (bis hinein ins Rampenlicht einer Disco in Styrum) zu lancieren - vorausgesetzt, daß es womöglich dem eigenen Portemonnaie eine Schwellung bringt. Oder war es im Ernst die Mutter, die eingeschlossene, eifersüchtige, moralische, die das letzte Wort behielt? Dann könnte auch die schönste, mutigste, aufopferungsvollste, auf ihren Anteil am Geschäft bedachteste, trickreichste und geilste Fee den Prinzen nicht retten - ja nicht einmal sich selbst. Dann ist wirklich, beinahe, alles verloren, was durchschaut, und durchschaut, was zu verlieren ist - und wir lachen nicht umsonst: die Kinokarte, in Düsseldorfs BAMBI, machte allein schon acht Mark, nicht inbegriffen der Kaffee, an der Kinobar.  Und der Film ist doch ein Streifen über Leute, die radfahren; und Leute, die Auto fahren; und Taxifahrten. Und nicht bloß so über's Vögeln, und unsre Verklemmtheiten. Und mit fällt darum auch der Rhythmus ein, den das alles durchzog - war was sehr Musikalisches... (alle Avantgarde erscheint den Kritiker-Päpsten erst mal als dillä-tantisch, nicht erst Valentin; und Picasso; und Beuys); ...war was, wie jener Rhythmus von Licht und Dunkel, während durch eine Styrumer Straße ein Taxi fährt: draußen die Lichter, die in den Auslagen kleiner Geschäfte, als schäbige Neonschrift ihrer Werbung, Glanz von Straßenlaternen, in den vorbeiziehenden Fenstern aufleuchten...
 

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Die Kritik verstand sich als barmherzig. aber so schnell, wie sie mit dem Film abrechnete, war wohl eher die Barmherzigkeit des "Gnadenschusses" gemeint. In der ZEIT erledigte einer Johnny Flash mit der linken Hand. Aber mir fiel dabei plötzlich die Sprichwort-Neuschöpfung Crevels ein: "behend und munter, wie ein Polizist, der einen Arbeiter erschießt..."
 

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Das Befreiende des Slapstick-Humors (befreiend, weil man über sonst als übermächtig erlebte, beschädigte Verhältnisse - und sich in ihnen - lacht), faszinierte schon die Surrealisten, die seine dunkle, anarchische Variante entwickelten.

Auch in Johnny Flash finden sich Züge davon: Slapstick-Burleske... Und gehört nicht der Film einem Genre an, dessen Kunstcharakter sich auch hier, diese surreale Seite betreffend, fast noch verbirgt? Übrigens dank einer Leichtigkeit, Beiläufigkeit der Umsetzung rigoros antinaturalistischer formaler Mittel, die zu tun hat mit höchstmöglicher Improvisation bei höchstmöglichem Formbewußtsein auf der einen Seite. Und die auf der andern, der realistischen, so leichthin und witzig Einsichten ermöglicht, als eine wirkliche Zusammenhänge vermittelnde Präsentation einer "Sache". Anders gesagt, der Formalismus ist nicht leer, kein Selbstzweck. Und weiter: man täuscht sich, wenn man annimmt, die formalen Kunstmittel (Mehfachbelichtungen, rasche Schnitte usw.) jener früheren, so deutlich "experimentellen" Filme von Nekes seien hier gleichsam nur eingestreut, nachgerade beliebige Erinnerungen an ein anderes Umgehen mit filmischen Mitteln - etwas, auf das eben nicht ganz verzichtet wurde, in einem "durch und durch konventionellen" Film...

Sicher: der Film wirkt über weite Strecken nahezu, als teile er den naturalistischen Ansatz von Hollywood-Filmen, oder von Filmen jenes italienischen Erzählkinos, für das Namen wie die der Brüder Taviani stehen mögen: das Haus, der Eingangsszene, auf das die Kamera zufährt - eine malerischere, poetischere Einführung in die Welt des halb-großstädtischen, halb dörflich-industriellen Ruhrgebiets läßt sich kaum denken. Die Rennbahn in Mülheim, die Straßenszenen, Geschäfte, ältere Frauen auf einer Geburtstagsfeier, versammelt in der "guten Stube": die Reihe der wiedererkennbaren, "dokumentarischen" Elemente ließe sich fortsetzen.

Aber: diese dokumentarische Oberfläche wird nicht nur witzig-untergründig, ironisch, mithin kritisch, sie wird auch mit einer großen formalen Strenge durchbrochen und unterminiert.
 

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Die Geschichte der kleinen "Karriere" des Elektriker-Lehrlings aus dem Ruhrgebiet, der lokaler Pop-Star wird (im STERN, oder war's der SPIEGEL?, konnte man über "Vergleichbares" eine Reportage lesen - mit dem Anspruch auf soziale "Relevanz", obwohl gewissermaßen nur die Oberfläche reproduziert wurde: eine weitere "Fassade der AEG", um mit Brecht zu sprechen) - diese Geschichte wird nicht nur witzig, selbst-ironisch und subversiv karikiert von Helge Schneider; sie zerfällt kaleidoskopartig in Einzelheiten, Situationen, die nicht das aussagen, was der Film trotz seiner sprunghaften Erzählweise zunächst suggeriert. Es ist kein Porträt eines Ruhrgebiets-Pop-Stars und seiner (drittklassigen) Karriere; keine bruchlos geradlinige Aussage, die mit der Chronologie einer nacherzählbaren Geschichte, ihrer Oberflächenstruktur, in eins fällt. Eher ist es - und das macht, wie bei der psychoanalytischen Traumdeutung, die sich auch nicht mit der "Identifizierung" von "Tagresten" zufrieden gibt, ein assoziatives Verknüpfen, also Gedankenarbeit, was sagen will, eine ganz spezifische "zweite Produktion" durch den Rezipienten erforderlich - die filmische Analyse psychischer Strukturen, situiert in gesellschaftlichen, sprich Klassen-Verhältnissen. Vielleicht auch: die Analyse einer familiaristischen Ideologie; Analyse der Kleinfamilie, der sexuellen Verklemmtheit, der Verschiebung von nicht eingestandenem Begehren hin zu einer schalen Romantik - Pendant jener stilisierten, sublimen Romantik, die uns Wim Wenders offeriert in Der Himmel über Berlin.
Der Film von Nekes zeigt die der hehren Kunst fraglos oft gänzlich fremde, da massenhaft produzierte und den Massen dadurch vertraut gewordene schale Romantik objektiviert in Angebot und Nachfrage nach jener Unterhaltungsware, die in Arbeiterkneipen (nicht nur des Pütts) aus der music box quillt.  

Das wird nicht denunziert. Aber die, die das kennen und diese Leben hier leben und sich wiederzuerkennen meinen (also wir alle?) können darüber lachen: das schafft der Film, und eben darin liegt eine kritische Sprengkraft. Und das ist auch nicht zu trennen von der Weise, wie der Filmmacher mit jenen ditties, jenen zweideutigen kleinen Liedchen ("Liebe ist nicht peinlich/sei doch nicht kleinlich") arbeiten läßt, die die Verklemmtheit vieler deutschen Schlager zugleich zitieren und umschlagen lassen: was genau ihnen die Peinlichkeit nimmt und - wie bei Valentin - indem es Distanz schafft, auch das befreiende Lachen ermöglicht, das nicht ohne eine Spur von Durchschauen lebbar wird. 

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Aber um zurückzukehren zur formalen Seite: der Film bildet das, was das Lachen auslöst, die Vielzahl der Situationen, die Vertrautes, Vertracktes, "wie aus dem Leben Gegriffenes" zeigen, nicht einfach und nach gewohnter Manier ab. So wird die Mutter des Lehrlings Johnny Flash alias Jürgen Potzhofen, wie im chinesischen klassischen, der Oper verwandten (also nicht: Sprech-) Theater, von einem Mann gespielt. Wenn Mei Lan-fang im chinesischen Theater eine Frau spielte, war seine Stimme weder die eines Mannes noch die einer Frau: sondern eine artifizielle, dem Genre entsprechende "Kunst-Stimme". Hier, in Johnny Flash, fallen Visuelles (die Rolle der Frau, als Mutter, die Andreas Kunze spielt) und Akustisches (die Worte, die "muttertypischen", rollengemäßen Sätze, die mit der Stimme eines Mannes, wenn nicht gar mackerhaft gesagt werden) auseinander: die Rolle wird gezeigt in ihrer konkreten Typik. Aber es wird nichts imitiert. Da bleibt kein illusionistisches Moment übrig, im "Zeigen"...

Ähnliches läßt sich sagen über die Reihung, als Stilmittel, oder anders gesagt: jene Selbstverständlichkeit, mit der derselbe Schauspieler (Andreas Kunze) nacheinander in Frauen- und Männerrollen (Mutter; Bankkassierer; Schneider; Verkäufer im Musikgeschäft) schlüpft. Die Zuschauer "nehmen das an", in einer Art von durchschauendem Einverständnis, daß immer wieder neue (gesellschaftliche) Rollen (oder "Figuren") auftauchen, die nur "zufällig" vom selben Schauspieler vorgeführt sind: eine Ökonomie der formalen Mittel, die der Beschränkung der finanziellen Mittel - der Film wurde mit lediglich 300.000 Mark gedreht - entspricht und sie positiv wendet, zu einem pointierten Stilmittel.  In einem Hollywood-Film würde man fragen, warum derselbe Protagonist in diese verschiedenen Verkleidungen schlüpft, würde - auf den "plot" (also die "Erzählung", den Inhalt einer Narration) orientiert - einen der "Erzählung" anhaftenden Sinn der Maskeraden und des diesen Sinn verkörpernden "Subjekts"  zu entdecken suchen. Und dies, weil die für das Publikum dominante Realität die der "Identität" des Stars, das heißt, eines Schauspielers, der den Star hervorkehrt (und mit ihm die "Einheit" seiner Person in der fiktiven, filmischen  wie in der außerfilmischen Wirklichkeit) sein würde. Hier ist beides, Leiblichkeit des wiederholt auftretenden Schauspielers, und Abfolge sowie Identität und Bedeutung der Rollen, die er "personifiziert", mithin als Maske (oder persona) "spielt", durchaus zu trennen. Etwas, das einem "Präsentieren", einem nahezu Brechtschen Zeigen in vielem nicht unähnlich ist?

Insofern wäre wohl es wohl auch absurd, in jener Situation, die eine junge Frau, vor hochgeklappter Motorhaube stehend, zeigt, während sie ausspricht, daß sie ihr Autorradio zu reparieren sucht, eine naturalistische Umsetzung von "Alltag" zu sehen - in jenem Sinne, der dann nur frauenfeindlich-denunziatorisch sein könnte. Nein, die Logik der Verknüpfung ist sprunghaft-assoziativ in diesem Film: so, wie die Lampe nicht wirklich jedesmal dunkler wird (auch wenn der Boss der show business Agentur dies sagt), wenn der zwecks ihrer Reparatur herbeigerufene Lehrling gerade da war,  so sucht auch die über die Kühlerhaube gebeugte Frau nicht wirklich das Radio zu reparieren. Und es ist ein Schlag gegen den Naturalismus, daß das Radio zu spielen beginnt, als dann der Lehrling irgendwo zwischen Keilriehmen und Kühlwassserbehälter herumfummelt. Gefummelt wird hier nur, weil es um die Zufälligkeit des Sich-Näherkommens, des "sexuellen Interesses" geht. Mithin um ein Begehren - und was ihm in den Weg kommt: Nichterfolgte Ablösungen, Fixierungen auf die Mutter, die familiäre Situation - "Woody Allen Situationen", die noch viel verfahrener, verklemmter sind als es je in den USA, und noch dazu im großstädtischen Ostküsten-Milieu unter Leuten der "middle class" möglich wäre.
 

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Der Film von Nekes behandelt das virtuos, tongue-in-cheek (spricht: hintergründig ironisch) und zugleich cheeky (also: frech) - die "Karriere"-Geschichte spielt plötzlich eine Nebenrolle, gegenüber der "Dreiecksgeschichte" (in die das Geld oder mindestens doch der Traum vom großen Geld reinspielt) zwischen "proletarischer" Mutter, "proletarischem" Sohn, und junger, erfolgreicher Karrierefrau als lover. Mit der's nicht klappt, nicht klappen kann - für diesen Arbeiterjungen: außer linkisch, und frustrierend. Wir lachen dabei über das, worin wir stecken - mehr oder weniger.  Und wir lachen über jene triviale Pop-Kultur, die nur darum die (vor-)herrschende sein kann, als Kultur der "Massen", weil sie - mit ihren Clichés - mindestens per "unschuldiger" (oft flacher, "romantischer") Anspielung  etwas, und sei es auch noch so entfernt, einlöst. Und eben dadurch, immer wieder, real aufschiebbar machte und macht. Schuldbeladen, tabubeladen, verkrüppelt spielt es sich ab - in der gesellschaftlichen Praxis der Menschen, nicht nur der Arbeiterkinder: das Geschlechterverhältnis, durchzogen (in welchen Formen auch immer) vom oft uneingestandenen, verdrängten und deformierten Begehren. Denn es gibt keine befreite Sexualität, keine freien Menschen, in dieser Gesellschaft; die befreiten Verhältnisse stehen noch aus.

(Febr./März 1988)
 

 

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