20 Jahre kultuRRevolution
Zum Jubiläum einer diskurstheoretischen Zeitschrift
Das mehr als 20jährige Bestehen der Zeitschrift kultuRRevolution,
die 1982 von Jürgen Link gegründet wurde und von ihm (in Zusammenarbeit
mit Rolf Parr, Ulla Link-Heer usw.) herausgegeben wurde und wird, war am
3. Juli 2003 auch der Frankfurter Rundschau Anlaß genug, über
dieses mutige, notwendige Projekt, diese Tribüne kritischer, nämlich
interdiskurskritischer Reflexion und Debatte zu berichteten.
Dort heißt es unter anderem:
"Ja, das gibt es noch: Denkende Menschen, die die Revolution
im Munde führen, jenes ausrangierte Wort, das einst der Reform gegenüberstand"
- wobei ja bekannt ist, daß es nicht nur jene antithetische (von
den Kontrahenten zumeist polemisch eingefärbte) Gegenüberstellung
der beiden Begriffe gab, sondern wenigstens zeitweise, etwa in den
letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, auch die reflektierte Rede von
ihrer dialektischen Verbindung, einer Dialektik von Reform und Revolution...
Während aber gerade auch die sogenannten "Mittelklassen" sich damals
noch der Errungenschaften, der gesicherten und auch erweiterten Freiheiten
bewußt waren, welche zwei für sie wichtige politische und gesellschaftliche
Umwälzungen, die Revolution von 1776 sowie - wenigstens
auf Sicht - jene zunächst kurzlebige von 1789 gebracht hatten, sprechen
heutzutage fast nur noch Autokonzerne und Mode-Anbieter von "Revolution";
die "Macher" des sozialen Rückschritts dagegen approprieren das Wort
"Reform". Beide Begriffe sind dabei sinnentleert worden und "auf den Hund
gekommen".
Für Rene Aguigah, den Rezensenten, der in der Frankfurter
Rundschau die kultuRRevolution bespricht,
ist nun, den Namen der Zeitschrift und des damit verbundenen Programms
kommentierend, mindestens so viel erkennbar: daß "ihre Macher ...
nicht aus Trotz oder Nostalgie" auf den Begriff, der dieser Zeitzschrift
den Namen gab, beharren, sondern daß sie dafür andere, einleuchtende
Gründe haben. Aguiah fährt fort:
"Was die kultuRRevolution
auszeichnet, sind heutige Diagnosen, die zwischen Kulturwissenschaft und
Politik siedeln. Gründlich recherchierte Studien über 'Narration
und Spannung im Computerspiel' oder 'Nationalstereotype in der Fußball
Berichterstattung' finden sich in der Jubiläumsnummer; Essays, die
die Anschlußmöglichkeiten zwischen Foucaults Diskursanalyse
und Luhmanns Systemtheorie erproben; herausragende Analysen wie eine Kritik
der Rede vom 'Ende der Gutenberg-Galaxis' (Burkhardt Lindner) oder das
Porträt des Zoologen Ernst Haeckel als Vordenker einer eugenischen
Biopolitik (Ludger Fittkau und Petra Gehring). "
Was die Programmatik der Zeitschrift anbelangt, so kommentiert
der Rezensent:
"So unzeitgemäß ein Konzept von Kulturrevolution
heute scheint, so offensiv vertritt es der Literaturwissenschaftler Jürgen
Link [...] Wie viele Autoren, die die Moderne beschreiben, hält auch
Link Ausdifferenzierung für ein zentrales Merkmal der modernen Gesellschaft.
Er legt allerdings Wert darauf, dass soziale Differenzierung sich zugleich
horizontal (in verschiedene Funktionssysteme) und vertikal vollzieht (in
hierarchisch strukturierte Schichten). Die erste Dimension basiert, knapp
gesagt, auf Wissen, die zweite auf Macht, und beide Dimensionen koppeln
sich aneinander. [...]
Link kommt es darauf an, die Kontingenz solcher Wissen-Macht-Koppelungen
aufzuweisen. Sie ist historisch geworden und somit veränderbar. Eine
Methode der Zeitschrift, zumindest alternative Energien zu schüren,
ist die Flucht vor binären Reduktionismen. 'Entweder mit uns oder
mit den Terroristen', sagte Bush, während die kultuRRevolution
kürzlich eine "Initiative Intelligente Deeskalations-Strategie' veröffentlichte.
Ein pazifistisches Papier, das sich eher auf Clausewitz denn auf Gandhi
beruft [...] Ein realistischer Vorschlag, der doch nicht zu Realo-Politik
gefriert.[....]"
Soweit Rene Aguigab in der FR.
Fast zeitgleich und im Kontext
einer Feier, zu der Freunde und Kollegen der Herausgeber sowie des Verlages
nach Essen eingeladen sind, wird Jürgen Link im Atelierhaus 'Alte
Schule' Äbtissinsteig einen Vortrag halten, der den Kulturwissenschaften
und ihrem Verhältnis zu dem, was der Begriff Kulturrevolution meint,
gelten wird.
In dem Vortrag von Jürgen Link geht es offenbar
darum, aufzuzeigen, daß unseren gesellschaftlich verankerten Redeweisen
die Spuren tiefgreifender kultureller Veränderungen und Umbrüche
einbeschrieben sein können, wie sie bereits in der Umbruchphase zwischen
Adenauerscher Restaurationszeit und den 70er, 80er Jahren in Westdeutschland
– und unter anderen kulturellen Rahmenbedingungen gleichzeitig auch in
Frankreich, den USA, selbst der Tschechoslovakei, Jugoslawien und Japan
zu verzeichnen waren. Es hat sich durchgesetzt, von den nachwirkenden Effekten
der mit dem Jahr 1968 assoziierten Veränderungen zu sprechen, die
übrigens längst nicht nur den Politikbereich betreffen, sondern
viele und ganz unterschiedliche Bereiche, von der Kunstrezeption bis zum
Design und der Sprache der Werbung, von der Mode bis zu den zwischengeschlechtlichen
Verhaltensweisen, von den Erziehungsmodellen und –praxisformen bis
zum Umweltbewußtsein. Dabei sind aber konterkarierende Reaktionsbildungen,
Gegenfinalitäten, Verwässerungen und Aufhebungen des "Neuen"
(auch im Sinne der Entpolitisierung, der Reproduktion von Ohnmacht, und
Adressierung des immer wieder neu produzierten Bedürfnisses, "unterhalten"
zu werden), was die Analyse dieser "Phase beschleunigten Wandels" betrifft,
fast immer unter den Tisch gefallen.
Kulturelle Umbrüche wie die der späten 60er
und frühen 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, die sich gerade auch
in der Sprache spiegeln, sind nicht neu. Wir kennen sie aus der Zeit um
1770-1830 und wir dürfen auch auf zukünftige „Kulturrevolutionen“
gespannt sein. Für Menschen, die der Sprache – als Medium alltäglicher
Kommunikation, aber auch als Kunstform – sowie der bildenden Kunst einen
großen Stellenwert zumessen, ist die Frage nach den „Umbrüchen“,
ihrem Wie, Wieso, und Wohin, eine spannende und nicht zu vernachlässigende
Frage.
- Andreas Weiland
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