Ruhrgebietsweiter Appell der Kulturschaffenden im Ruhrgebiet

Im folgenden geben wir den Appell der Kulturschaffenden im Ruhrgebiet unverändert wider. Für Fragen steht der Initiator Johannes Brackmann unter der Mailadresse brackmann@grend.de zur Verfügung.
 
Kulturhauptstadt 2010 – Wir wollen gewinnen!
 
Ruhrgebietsweiter Appell der Kulturschaffenden im Ruhrgebiet
 
Mit wachsender Skepsis beobachten Kulturschaffende der Region aus unterschiedlichen Bereichen die aktuelle öffentliche Diskussion um die Einsetzung einer künstlerischen Intendanz in die Gesamtleitung der Umsetzung und Durchführung des im Frühjahr zu Recht erworbenen Titels Essen/Ruhrgebiet – Kulturhauptstadt 2010. Zu vermuten ist ein politisches Ränke- und Machtspiel hinter den Kulissen der gerade im Aufbau befindlichen Kulturhauptstadt-Gesellschaft, das der eigentlichen Aufgabe und Funktion der Kulturhauptstadt 2010 nicht gerecht wird und ihr im Gegenteil erheblichen Schaden zufügen kann. Vorrangiges Ziel muss es aber sein, in Kooperation mit den hier lebenden Akteuren und Kulturschaffenden aus den unterschiedlichen kulturellen Milieus ein nachhaltiges Netzwerk künstlerischer und kultureller Kompetenz zu bauen und die vorhandenen regionalen Potentiale in den Kulturhauptstadt-Prozess gewinnbringend einzubeziehen und weiter zu entwickeln. Das ist nicht nur die große Aufgabe nicht nur für 2010, sondern für den Zeitraum weit darüber hinaus.
Der Auftrag der europäischen Jury: „bedeutende Anteile der Ruhrgebietsbevölkerung zu mobilisieren, aktiv am Geschehen teilzunehmen“ muss nun mit Hilfe adäquater Beteiligungsstrukturen erst genommen und rasch entwickelt werden. 
Der Essener Kulturdezernent Dr. Oliver Scheytt hat mit seinem kleinen Team und mit der Unterstützung zahlreicher anderer regionaler Akteure den Bewerbungsprozess durch Begeisterung und Überzeugung gegen namhafte Konkurrenz gewonnen. Als Aussenseiter gestartet und als anerkannter Sieger den Titel erworben zu haben, ist für das Ruhrgebiet ebenso Auszeichnung wie Herausforderung. Sich auf die eigenen Kräfte und Potentiale zu konzentrieren und Europa zu zeigen ‚was man hat und nicht was man sich leisten kann’, ist ein weiterer Auftrag, den die europäische Jury in ihrer Begründung der Region mit auf den Weg nach 2010 gegeben hat. Darin besteht der deutliche Unterschied zu den ohnehin schon bestehenden Festivals wie etwa der RuhrTriennale, dem Klavierfestival Ruhr und anderen großen Festivals 
Als freie oder institutionell gebundene Kulturschaffende, die seit vielen Jahren in der Region arbeiten, bietet uns und der Region der Titel ‚Kulturhauptstadt 2010’ die Chance der nationalen und europäischen Wahrnehmung und der damit verbundenen Anerkennung. Darüber hinaus bietet die Kulturhauptstadt 2010 die Chance, am Beispiel der Kultur zu zeigen, dass regionale Kooperation und Zusammenarbeit auch über die Grenzen und das Kirchturmdenken der Städte hinweg zukünftige Wege der kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung der Region aufzeigen kann. Gerade die freien Kulturschaffenden und zunehmend aber auch andere Bereiche praktizieren hier seit Jahren städteübergreifende, regionale Kooperationsformen; sei es im Bereich der Migration, im Jazz, in der improvisierten Musik, im Film, in der Fotografie, beim Theater oder in der Soziokultur. 

Die Frage einer (von außen importierten) künstlerischen Intendanz der Kulturhauptstadt 2010 – sei es als Doppelspitze neben der Geschäftsführung noch als ‚Festivalleiter mit eigenem Budget’ – ist auf diesem Hintergrund zunächst erst einmal zweitrangig. Darüber hinaus hätte sie schon längst zu einem früheren Zeitpunkt moderativ und in Abstimmung mit den regionalen Akteuren geklärt werden müssen. 
Wir favorisieren eine Struktur, die partizipativ-moderierend, teamorientiert und vor allem selbstbewusst auf die eigenen Kräfte der Region baut und die um die schwierigen Hürden regionaler Kooperation und ausgeprägten Kirchturmdenkens im Ruhrgebiet weiss. Dazu gehört durchaus auch die Auswahl und Einbeziehung kulturell/künstlerischer Kompetenz – sei es aus dem In- oder Ausland - für gezielte Vorhaben und Projekte. Nicht, um mit großen Namen Glanz zu erzeugen und damit das anscheinend immer noch angeschlagene Selbstbewusstsein der Region zu kaschieren - sondern um den jeweiligen Zielen der Vorhaben und vor allem dem Auftrag der Kulturhauptstadt 2010 gerecht zu werden. 

Wir begrüßen daher die aktuelle Entscheidung, Dr. Oliver Scheytt in die Geschäftsführung der ‚Ruhr 2010 GmbH’ zu berufen und so den bisher erfolgreich begonnenen Prozess kontinuierlich weiter zu führen.
Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur: das Ruhrgebiet ist eine faszinierende und vielfältige Landschaft mit allen Brüchen und Widersprüchen industriell geprägter Räume. Die Region braucht nun die Chance, sich auf ihre eigenen Kräfte und positiven Potentiale zu besinnen - und davon gibt es mehr als genug. Vor allem aber auch, um die hier lebenden Menschen auf den Weg nach 2010 mitzunehmen. 

Wir appellieren an die Verantwortlichen in diesem Prozess, Strukturen zu schaffen, die den hier dargestellten Anforderungen gerecht werden. Die Kulturhauptstadt 2010 kann nur dann ein Erfolg werden, wenn möglichst viele Menschen in der Region beteiligt werden, sich mit einbringen können und - auf Augenhöhe - mitgenommen werden. 

Kulturhauptstadt 2010 ist kein Festival und auch keine Verkaufsveranstaltung – sondern viel mehr, als einige Verantwortliche sich vielleicht noch bislang vorstellen können. 
Ruhrgebiet/ 14.11. 2006

Es folgt eine Liste mit den Namen der 121 Unterzeichner.
14.12.2006
 
von Johannes Brackmann
 
 

This appeal by more than one hundred artists from the Ruhr District is documented here for historical reasons. Its immediate cause and immediate practical relevance, according to one source, does no longer
exist.
 
 
 
 
 
 
 

Sources of the above text:

http://www.netzteil.com/session/Appell%20der%20Kulturschaffenden.pdf

http://www.ruhrwaerts.de/ruhrwaerts/index.nsf/url/A5AE0B0A4A07F92AC1257243008005AC?OpenDoc
 


IS CULTURE MERELY ANOTHER "ECONOMIC FACTOR" IN THE CONTEXT OF  "COMPETING LOCATIONS"?   
NO!

IS IT, ABOVE ALL, SUCH A FACTOR?
WE SAY, NO, NO, NO!

The attempt to see the arts and the creative activities of artists in purely commercial terms can only fill us with despair if not disgust.

Undoubtedly this worldwide tendency of  increased and increasingly shameless commodification extending into the cultural arena was first noticed in the United States. In recent years, it has motivated radical political decisions of cutting back public expenditures for museums, theaters, art councils, cultural foundations etc. both in North America and the European Community. 

It has become fashionable to proclaim that "culture should pay its own way" rather than expect public "subsidies." We would like to ask the proponents of radical privatization and deregulation whether the great architecture of Classical Greece and Rome would have originated if profit-minded people had been responsible for the decision to build or not to build the great buildings of the Classical period we still admire today.

We demand of the elected political representatives a new awareness of their responsibility to make culture accessible for all citizens.

The recent course of privatization amounts to a policy that is increasingly making access to culture unaffordable to many citizens. At the same time, cutting back culture-related budgets makes economic survival more difficult for an increasing number of artists. Art, in this era of a new feudalism of politically influential multinational corporations, is becoming again an affair of the privileged few, certainly more so than is good for a democratic society. 

We asks whether this is not already turning back the tide of modest progress that was making art and cultural appropriation of the arts less elitist? Whether it isn't wiping out the relative headway made during the New Deal period in the U.S. and during the "Social Democratic Decades" of post-WWII Western Europe -  a phase that has come to such a sudden end recently...

Committed artists and art-loving citizens can only reject the new elitism implied in a policy of shrinking public culture-related expenditures. They detest those keen on exploiting the arts as a field of speculative investment. And they destest the spirit of sharp and merciless  competition that sets city against city, region against region, country against country. Let's say  NO, NO, NO  to those who are eager to exploit the arts and artists for their own selfish, particulist gain.

  -  Joan Chen  and
     Linda Lombardi