J. Weidenfels

           Lithographische 'Reflexionen' Li Portenlänger's über das
       Eichstätter Figurenfeld
  
 


 

Li 1 : In der Erinnerung taucht wieder eine Zeile auf, war es ein Buchtitel? - ONE MAN'S MOON. Aber dies ist nicht one man's moon, es ist nicht einmal nur ONE WOMAN'S MOON, es ist etwas ALLEN Zugängliches, etwas fast ANONYMES, MYTHISCHES, etwas jedenfalls sehr Altes, fast schon Archaisches, das mich entfernt erinnert an chinesische Arbeiten: ihre Einfachheit, ihre Klarheit, die Weise, wie in ihnen Ausschnitte  einer Welt gezeigt werden können - etwa in dem Inneren eines Kreises, der hervortritt wie herausgelöst aus der leeren weissen Fläche jener Papierrolle, die das klassische Rollbild trägt. In dem Kreisausschnitt könnte so ein Sektor der Welt, eine Welt eingefangen werden.

Bei Li Portlänger's Arbeit reicht der "eingefangene Weltausschnitt", festgehalten in den  vereinfachten, nur als schwarze Umrisse erkennbaren Chiffren, die wie ebenso viele Schattenrisse für die Skulpturen des Figurenfelds von Alois Wünsche-Mitterecker, in der Mulde jenseits der Peripherie des von ihr bewohnten Eichstätt stehen, deutlich über das leicht dunkle Graubaun, gemischt aus Kupfer und Silber, ihres Kreisrunds hinaus. Die Fläche des Bildträgers, im chinesischen Rollbild häufig das für LEERE oder UNENDLICHKEIT stehende Weiss, hier ein deutlich helleres Kupfer-Silber-Gemisch, ist montiert mit der dunkleren Kreisfläche und dem darüber (oder darunter?) gelegten, wie in einer Superposition (also Mehrfachbelichtung) gleichsam "durchscheinenden" Schwarz.

Drei Ebenen also, vereint - montageartig - durch die drei Phasen des Druckvorgangs. Die klare Beziehung der Farben (das helle Braunbeige des Bild-Grundes, das dunklere der Kreisfläche, das Schwarz) erschliesst sich mit aller Prägnanz, die auch klassisch chinesischer Kalligraphie innewohnt. Die aus dem land art Ensemble Wünsche-Mittereckers entwendeten Schatten der "Skulpturen" - es sind, wie gesagt,  Zeichen: Chiffren eines Chaos, Echos eines durcheinandergewirbelten, in der Fläche verteilten, verirrten, verwirrenden, letztlich irritierenden Vorhandenseins - erscheinen mir wie zufällig, at random verteilte Noten einer schmerzvollen, einer Schreie integrierenden, aber auch einer letztlich immer wieder, in den Zwischenräumen verklingenden, ja verstummenden und schließlich an den Rändern, in der Weite der Welt sich verlierenden, verstummenden Musik.

Ein Mond, eine Sonne, der angedeutete, symbolisierte Scheinwerferkegel des Welttheaters: ist es das, worin sich die Erinnerung an das Sterben, das sinnlose Vergehen der in Schlachten sich Abschlachtenden, der in den Tod Geschickten und Geschlachteten, wie eine Spur eines ewigen Moments andeutet?

Li 2  Eine andere Arbeit Li Portenlängers greift die Konstruktionsprinziipien jener zuerst genannten Lithographie auf. Wieder ist es die hellere, graubraune Fläche, in der sich - wiederum zentriert - die dunklere, graubraune Kreisfläche vorfindet. Wieder sind diese beiden sehr einfachen, montierten Elemente - das Rechteck des Bildgrundes, der darüber gesetzte Kreis - in ein spannungsvolles Verhältnis zu einem dritten Element gesetzt. Auch dieses chiffrengleich, an chinesische Kalligraphie, die dunkle Tuschespur erinnernd. Aber es ist nicht die Spur eines Pinsels, geführt von der Hand eines Meisters, dessen größte Kunst in der Überwindung des Partikulären liegt, obwohl sie dem Allgemeingültigen des Genres etwas Eigenes hinzufügt. Es ist - wie in den Werken mancher die objets trouvés schätzender Surrealisten - eine dem Zufall geschuldete,  gefundene Spur: die Künstlerin schreibt: "Außerdem habe ich eine Steinabreibung aus China verwendet: Teil eines Rückenpanzers einer Schildkröte vor einem Tempel [...]" Den sie wohl auf einer Reise in China aufsuchte.  Hier, in der vorliegenden Arbeit, wird dieses Vorgefundene nun in der "Montage" der Elemente, welche die Druckvorgänge zusammenfügen oder besser, übereinanderlegen, nun ein seltsam fremd erscheinendes Fundstück: es erinnert mich an einen lang hingestreckten, menschlichen Körper, aufs Malerischste realisiert und doch stark vereinfacht. Und in diesem Gestus, des Ausgestreckt-, Hingestreckt-Seins wirkt das, wirkt dieser "Schwarz-Körper" doch zugleich zerfetzt, zerrissen, wie gequält. Wie verloren. Ihm einbeschrieben aber ist das Andere: die Herkunft. Das Bestimmt-Sein zum Leben, zur Lebensfreude - nicht zum Vergehen im gewaltsam herbeigeführten Tod. Die Schildkröte aber, in China als Spur entdeckt, bedeutet dort (wie man weiß) das genaue Gegenteil des zu frühen Todes: bedeutet "Langlebigkeit". So weist sie auf den Skandal hin, der in dem Herausgerissenwerden der viel zu jung Gefallenen aus der Lebendigkeit und dem Lebendig-Sein liegt.
 

Li 3 (Detail von Li 4?)


 

Li 4  Die dritte, hier besprochene Arbeit der Künstlerin läßt, wie in einem "Siebensonnenfenster" mittelalterlicher Kirchen, oder wie in einer präkolumbianisch-mexikanischen Darstellung, fünf Kreise (statt nur eines einzigen, in den beiden vorgenannten Lithographien) erscheinen. Sie beziehen sich formal auf eine unsichtbare, vertikal in der Bildmitte zu denkende Symmetrieachse. Sie deuten, aufsteigend und kulminierend und absteigend, gleichsam die Bahn der Sonne an.Ihr Farbton ist nicht gleich, er ist ein "ähnlicher", leicht variierter.  Am hellsten ist der Kreis oben rechts, so als deute er eine besonders große Helligkeit des Lebens kurz vor Abenddunkel, kurz vor dem Erlöschen an.
Über der Kreisfläche links unten, aber doch hinausragend über sie und so in die Unendlichkeit des Bildgrunds gesetzt, erscheint eine einzelne Figur: schattenumrisshaft schwarz. Es ist die "Wächter"-Figur, die der das land art Ensemble Alois Wünsche-Mittereckers Aufsuchende über der grasbedeckten  Mulde des die Masse des Skulpturen verstreut darbietenden Feldes entdeckt. Hier ist ihm ein Stück Erdboden, als schwarz verschliffene Druckspur zuteil geworden: die Figur scheint dadurch in Bewegung versetzt, dergestalt, dass sie mir einem in der mythischen Weite der Welt hineingesetzten, diese durchmessenden Wanderer zu gleichen scheint. 

Der mythischen Gestalt zu Füßen findet sich - in fahl-rötlichem, einem stumpfen Orange sich annähernden Braun - erneut die Chiffre der Gefallenen, ihres verstreuten Anwesendseins. Ganz so, als träume oder erinnere sie auf ewig jener, der in dieser Welt unterwegs ist.


 

Li 5 (= Li 4, ohne die Gestalt von Li Portenlänger auf dem Photo der Arbeit)

Li 6 (Dies lasse ich unkommentiert, dachte ich zunächst. Weil alles, was ich hätte sagen können, zu "willkürlich" gewesen wäre??? Aber es sind ja immer nur Lesarten,  Versuche der Annäherung, Gedankensplitter...) Fahre dann fort... trotz allem, und denke an Spiralnebel, irrgartenartige Labyrinthe, die Topographie eines Ortes - gesehen von oben. Gedanken an: aerial photography, birds eyes' view. Gedanken an Flurstücke, Furchen, an seltsame Eingrabungen, in der Erde als Spuren sichtbar. Vielleicht Furchen, von Schnee erfüllt, mit Schnee angefüllt, vom Schneewind, vom Schneetreiben  gefüllt. Während das höher  Herausragende bräunlich aufscheint. Als sei hier Schnee weggetaut, von der "näheren" Sonne. Oder weggeweht - vom stärker zupackenden Wind.

Auch hier, eine eigenartige "Abwesenheit" der toten Menschen, die diesem Ort angehören, gespürt. Und deutlich verstärkt, durch das Faktum dieser sichtbaren, fühlbaren "Abwesenheit", ihre UNSICHTBARE PRÄSENZ. Heißt genau das: "ERINNERN"? 

Li 7 Ganz anders, und doch nicht so völlig anders, zeigt eine weitere, zudem recht große, nämlich 60 x 120 cm messende Lithographie der Künstlerin, in ihrem unteren Drittel das "Figurenfeld": die auseinandergerissene, in die Weite des angenommenen Schlachtfelds verstreute Menge der Sterbenden und der Schon Toten. Eine Masse - anonymisiert, gesichtslos geworden.  Und dennoch vereinzelt durch die Position im Raum jenes Ortes, den in der begehbaren "Realität" das Ensemble von Wünsche-Mitterecker einnimmt; vereinzelt, wiederum,  in der vorliegenden Arbeit durch die Position im Bildraum, den die Komposition der Künstlerin einer jeden schattenhaft dargestellten Gestalt zuzuweisen scheint. Ausgangspunkt des Ensembles der Schatten ist ohne Zweifel eine Art Fundstück, eine vorgefundene oder von ihr angefertigte Photographie, die in großer Radikalität auf das Allereinfachste, das Wesentliche reduziert wurde. Überblendet wurde, also kontrastiv hinzugefügt wurde, eine Linie des Horizonts - denkbar am Ort des Figurenfeldes: eine Linie zudem, oberhalb derer und von der ausgehend, sich der Schatten von Gräsern, ja Grasbüscheln abzuheben scheint.
Diese Kombination verleiht dem leeren Raum, in dem die einzelnen Schattenfiguren existieren, eine imaginäre bildräumliche Tiefe - ein Eindruck, der noch verstärkt wird dadurch, daß wir durch einen  "Bildrahmen" innerhalb des Bildes zu blicken scheinen: ist doch über diesen unteren Bildbereich die abstrakt geometrische, aus schwachbräunlichen Linken gefügte Konstruktion eines Quadrats gelegt, dem nicht allein ein anderes, unwesentlich kleineres Quadrat einbeschrieben ist, sondern auch zwei die Eckpunkte des kleineren Quadrats verbindene Diagonalen und eine, ihren Kreuzungspunkt durchschneidende, vertikale Grade... Ein Reaissancekünstler hätte in diese aus Linien gefügte Konstruktion einen Kreis, und in ihn eine idealisiert dargestellte Menschengestalt einfügen können. Die Erinnerung an solche Darstellung wachgerufen wissend, denken wir aber gerade an die ABWESENHEIT einer derartigen, das Lebendige bejahenden Darstellung des Menschen. Und so wird dessen Gegenteil, der vielfach herbeigeführte Tod des Menschen, um so präsenter. 

Bemerkenswert ist, daß das doppelte Quadrat mit seinen Diagonalen und seiner mittigen Vertikalen nicht allein verdoppelt ist, sondern es taucht - ein über dem anderen - gleich dreimal in der Arbeit auf. Die oberen Bildbereiche in ihrer bis auf die Linienkonstruktion großen Leere bereiten, so könnte man sagen,  auf das erscheinende Schlachtfeld vor. Zwischen der ersten und der zweiten "Linienkonstruktion" (deren jede in ihrer Leere assoziieren lassenden, abstrakten "Räumlichkeit" wie eine noch leere Bühne der Welt, eine Vorankündigung des Noch Kommenden, des chaotischen Mords-Geschehens erscheint)  ist in der Tat der Kreis eingeschoben, den wir zu Anfang - über das dritten Quadrat sprechend - vermissten. Es ist eine dezentrierte Kreisfläche; sie überdeckt die zweite quadrathafte, Welt-Bühnen-Raum symbolisierende Linienkonstruktion teilweise. Die Kreisfläche enthält in der Tat keinen Menschen mehr, ob nun dieser idealisierte wäre oder nicht. Sie kündet stattdessen dunkel von dessen Abwesenheit, wie ein böse glänzender Mond über dem noch leeren Feld: I SEE A BAD MOON ARISING...

Li 8 Mondscheiben sind's, oder Sonnenscheiben - sich überlagernd. Fortgang der Zeit, in den Nachbildern ihres der Bewegung geschuldeten Ortswechsels am Himmel gefunden... Malerisch ist der dunkle Urgrund des Chaos der Welt, ist ein schwarzer Materie-Nebel,  ein schwärzlicher Sternennebelschleier -  meereswellengleich an sie herangeschoben, unter oder hinter den intensiv leuchtenden Lichtscheiben sichtbar gemacht. Etwas scheint alles Leid, alle Freude, alles Menschliche zu verschlucken, zu relativieren. Das Universum - seine Endlichkeit oder Unendlichkeit -  seine Bewegungen, seine Dimensionen: plötzlich ist alles präsent. Und das konkrete, menschliche Leid, verursacht von Menschen, ist so unsichtbar, plötzlich. Doch wie von ungefähr - als könnte das rebellische Unbewußte nicht anders - kommt das ABWESEND GEMACHTE, DAS AUSGEBLENDETE plötzlich um so stärker zum Zuge: wie eine ÜBERMALTE REALITÄT,  in den Schichten eines Bildes von Arnulf Rainer. Wie ein Verdrängtes, das sich zur Geltung bringt- unabweisbar. Unvergessbar! Ausgelöscht in der Präsenz des Ungeschichtlich-Planetarischen - und doch, als Geschichtliches, mit seinem kollektiven Leid und seinen je einzelnen, vielen Leidenden (Opfer, sie alle, und Täter zugleich, nicht wenige unter ihnen?) für immer, auch als noch so sehr verdecktes, vorhanden.


 

Li 9  (siehe Text zu Li 10)

Li 10 Auch diese Arbeit erscheint mir, wie schon Li 9, als eine formale Variation von   Li 8; nur asind es dieses Mal statt zwei leuchtenden Scheiben (bei Li 8) bzw. dreien (bei Li 9) vier "Sonnen"- bzw. "Mond"-Scheiben, die obere in die linke Bildecke geschoben (also ganz auffällig dezentriert), die zweite nicht ganz mittig über den beiden letzten, die fast symmetrisch den unteren Bildraum erfüllen und sich minimal überschneiden. Die Nuancen  der Verschiedenheit ihrer Farbe - das fällt auf. Wie ein "Glanz" erscheint [mir] hinter, oder unter ihnen "das Meer": ein ewiges, bewegtes, schwarzes Ur-Meer in der "ewigen Nacht" der unhistorischen Weltall-Zeit. Auf jenes "Meer" wirft das Gestirn, in seiner vierfach präsenten,  "ewigen" Bewegung  (sei es nun Mond oder Sonne) sein Licht. Über das Leben der Menschen aber wird auch hier nicht geredet - wird geschwiegen. In dem Schweigen von ihnen aber wissen wir den SKANDAL ihres Leidzufügens und Leidens, ihres Sterben-Machens und Sterbens  um so urgründiger, untergründiger präsent. Der Mond, die Sonne:  ihr Licht, ewig, scheint auf das Feld des Schlachtens, des Geschlachtet-Werdens. Die Knochen - verbleichen. Das Fleisch - wird von  Ratten oder Raben gefressen, oder es verfault. Nichts bleibt. Die Chiffren, der Lithographien, die Skulpturen des land art Ensembles: immer nur eine - unverzichtbare, notwendige - Krücke der Erinnerung. Über der Leere des Ortes, wo sie starben: nur der Mond, nur die Sonne, in ihrem  Wechsel. 

Li 11

Li 12 Die Druckwerkstatt in Eichstaett