Karl Kriedtke

Erinnerung an einen westdeutschen Maler der Nachkriegsjahre: Anton Woelki

Anton Woelki war in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des von der faschistischen Diktatur angezettelten Krieges ein anerkannter westdeutscher Künstler. Dafür spricht zum Beispiel, daß er sich sogar in Düsseldorf durchsetzen konnte, wo er Ende der 50er oder zu Anfang der 60er Jahre einen großen Auftrag erhielt. Und zwar zur Gestaltung des Foyers des neuerrichteten „Gewerkschaftshauses“ des DGB.

Seine Arbeiten zeichneten sich vor allem durch einen taktisch zurückgenommenen Einsatz „modernistischer“ Stil-Elemente bei gleichzeitiger Beibehaltung wesentlicher Merkmale figurativer Malerei aus. Woelki lag daran, in den Jahren kurz nach dem Krieg lebensbejahende, verhalten optimistische Töne in seine Bilder zu bringen. Dies entsprach seiner eigenen Auffassung, als erst einige Jahre nach Kriegsende aus der Gefangenschaft zurückgekehrter „Wehrpflichtiger“, der – wie fast alle seiner Generation –  nicht gewagt hatte, zu desertieren oder sich auf andere Weise dem verbrecherischen Krieg zu entziehen. Es traf aber auch einen Nerv und erfüllte ein gesellschaftliches Bedürfnis jener Zeit, in der zunächst noch weite Bereiche der zerbombten Städte in Trümmern lagen. Eine künstlerische Auffassung, die es darauf angelegt hätte, die Bourgeoisie zu schocken ( épater le bourgeoisie!),  war unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten und hätte wohl auch zu einem von Unverständnis geprägten Echo geführt.

Eine von ihm lediglich als „Blumenstück“ bezeichnete, unbetitelte Arbeit aus den 50er Jahren spiegelt sehr deutlich seine Kunstauffassung wieder. Die Zentralperspektive ist aufgehoben. Die Gegenstände scheinen im Raum zu schweben. Da ist dann etwa das Bild im Bild, das an keiner erkennbaren Wand hängt. Und der Tisch, der vor allem als Element des Bildraums zählt, und nicht primär als abzubildender Gegenstand. Seine Farbfläche, ihre Begrenzung in Gestalt deutlicher „Linien“, das steht in einem Spannungsverhältnis zu anderen Flächen und Linien,  etwa denen des Sessels oder Sofas, oder jener dahinter wahrgenommenen, lichterfüllten Fläche, der nichts Abbildhaftes mehr zuzuordnen ist. Da sich die Unterkante des Bilds im Bild  über der rechten Tischkante  befindet, wird das Sofa unter naturalistischen Gesichtspunkten gleichsam in einen irrealen „abgebildeten Raum“ abgedrängt; dieser ist jedoch in Wahrheit Teil eines gleichberechtigten, offenen Bildraums, sodaß durch die Weise der Kombination der Gegenstände ein beinahe kubistisch zu nennendes Raumgefühl entsteht.
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Anton Woelki, „Blumenstück“  (85,5 X 66,5 cm)

Es entsprach den Sehgewohnheiten eines durchschnittlichen Publikums seiner Zeit, unter dem Woelki auch Käufer seiner Arbeiten zu finden hoffte, daß die montageartige Zusammenfügung der Bildelemente verhalten, ja durch sanfte Übergänge in der Farbmodulation kaschiert statt radikal geschieht. Ähnlich hat zu jener Zeit der Hollywood-Film harte Schnitte vermieden und sie geschickt zu „überspielen“ versucht, was dann auch seine gekonnte Glätte ausmachte. In dem Bild von Woelki gibt es jedoch durchaus Störfaktoren: daß das Bild im Bild im „luftleeren“ Raum hängt, konnte dem Betrachter nicht entgehen; ebenso wenig, daß der Tisch „nach vorne abfällt“ und so die Blumenvase an Bodenhaftung verliert. Das mag damals von einem an eine andere Darstellungsweise gewohnten Publikum kritisiert worden sein. Max Liebermann soll einmal, darauf angesprochen, daß in einer begutachteten Arbeit eines Kollegen ein Arm einer figürlich dargestellten Person „zu lang“ sei, gesagt haben: „Der Arm ist so schön, der kann gar nicht lang genug sein.“ Ähnlich hätte man damals dem Kritiker des „schiefen“ Tisches sagen müssen: Der Tisch „sitzt“ so richtig in der Versammlung der als Gegenstände nur zum Vorwand genommenen Farbflächen; der kann gar nicht schief genug sein.

Mit dem verhalten experimentellen, in Wahrheit um eine Versöhnung von kubistischen Tendenzen und figurativer Malerei bemühten Ansatz Woelkis versöhnen sollte das an Konventionelleres gewöhnte Publikum seiner Zeit wohl der Blumenstrauß im Zentrum des Bildes. Seine Sonnenblumen, Margueriten und Hyazinthen erstrecken sich, Fühlern gleich, in alle Richtungen des Bildraums, durchdringen ihn und bringen ihn zum Atmen, zum Schwingen. Die Licht-Dunkel Effekte des Bilds machen aber auch, auf unrealistische Weise, vor diesem leuchtenden Blumenstrauß nicht halt. Lebensbejahendes, Lebensfreude, mischt sich mit dem Widerhall der Beklemmungen und Entbehrungen einer Nachkriegsexistenz, die weder für den Künstler noch für die Mehrheit der Menschen jener Gesellschaft, in der er existierte, zu verdrängen waren.   

Das Bild ist charakteristisch für eine Zeit der Übergänge. Es versucht, die Aura einer Klassik zu evozieren, indem der kulturbeflissene oder  doch kunstgeschichtlich informierte Rezipient subtil erinnert wurde an die „braune Soße“, die vorherrschende, von aufgesetzten Glanzlichtern durchbrochene Dunkelheit holländischer Maler einer anderen Zeit, des 16. und 17. Jahrhunderts, die übrigens ebenfalls eine von Kriegen und gesellschaftlichen Wirren zerrissene Zeit gewesen war.  Indem die Arbeit zu vermitteln sucht zwischen avantgardistischen Formexperimenten, wie sie bereits seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sich ankündigten, und substantiell nachhinkenden  Sehgewohnheiten des „Durchschnittspublikums“, das durch den Faschismus und seine Attacken gegen die „entartete“, moderne Kunst nochmals in seinen Lernprozessen erheblich zurückgeworfen worden war, sucht sie einen Übergang zu Neuem zu beflügeln, hält aber – und das ist charakteristisch – an dem Bekenntnis zu figürlicher Malerei fest. Wenn man bedenkt, mit welchem Aufwand gerade US-amerikanische, von Regierungsinstanzen finanziell, ideologisch und zum Teil auch personell unterstützte Kulturinstitutionen damals – in Frontstellung zu realistischer, sozialkritischer Kunst – „abstrakte Kunst“ zu einer ganz neuen Anerkennung zu verhelfen und zum ausschließlichen Paradigma der „Moderne“ zu machen suchte, ist dieses Festhalten am Figurativen fast schon wieder anerkennenswert.