Andreas Weiland
Nature – D –NatureD . Eine Retrospektive.
Zu den Arbeiten von Angelo Evelyn in der Kranenburger
Ausstellung
Die folgenden Überlegungen möchte ich unter
ein Motto stellen, das uns seit den Surrealisten irritiert: changer
la vie; changer le monde.
Die Welt verändern, und zugleich das Leben ändern,
das läßt auch die Sicht der Welt nicht unverändert,
nicht unberührt.
Indem der Künstler die Welt anders sieht, in seinen
Werken auf neue, damit andere Weise sichtbar macht, greift er auch ein
– stößt etwas an, das sich auswirken kann auf die Sicht des
Betrachters, seinen Bezug zur „Welt“.
Ist Angelo Evelyn ein engagierter Künstler?
Sie wissen, wie es ist, zu dieser Zeit. Experiment ist
„in“, Engagement ist „out“. Das war nicht immer so, in der Welt der Kunst,
oder auch jener der Literatur. Doch dies ist eine besondere Zeit, und sie
nimmt wieder auf, was bereits nach 1945, wählen wir keine deutsche,
sondern eine „westliche“ Perspektive, zu beobachten war: die Tendenz zur
Zurückdrängung figurativer statt abstrakter, gesellschaftlich
in mehr oder weniger expliziter Weise engagierter statt lediglich sich
auf formale Aspekte konzentrierender, und in diesem Sinn experimenteller
Kunst.
Meine These ist nun: die Werke, die hier versammelt sind,
zeugen von einem Unterlaufen sowohl der 1945 in West Europa und in den
USA dominant werdenden Tendenz wie jener anderen, die damals abgelöst
wurde, nämlich die eines bissigen, bisweilen auch ins Groteske gesteigerten
Realismus.
Angelo Evelyn ist ein subversiver Künstler, dessen
Engagement nicht muskulär, offensichtlich, frontal daher kommt, sondern
ironisch, tongue-in-cheek, wie die Engländer sagen: Verkappt,
manchmal spielerisch, immer auch, ein Stück weit experimentell. Das
heißt, sein Arbeiten – und somit sein Werk – erweist sich als
lebendig und Neues erprobend; da ist nicht viel festgelegt und vorherbestimmt,
will es mir scheinen. Vielmehr ist der Künstler sehr frei: sowohl
in der Auseinandersetzung mit dem Material, auf die er sich einlässt
wie auch in jener mit dem sich aufdrängenden oder aufgegriffenen Thema.
Das oft genug einem assoziativen, also poetischen Zugang zur Welt, einer
großen Offenheit gegenüber den Zufällen und Anstößen,
die das Leben für uns bereit hält, sich verdankt.
Schon zu Anfang der 80er
Jahre ist das, was ich hier zu behaupten wage, für mich nachweisbar.
Eine Arbeit wie „Big Insects Attacking Big Monuments"
(1983) kombiniert phantastische,
figurative Elemente, gewiß von der Pop-Art beeinflußt, aber
ohne jede Harmlosigkeit, zu einer surreal anmutenden Stadtlandschaft, deren
beunruhigende Qualitäten einer Kritik der urban geprägten Realität
unserer Welt gleichkommen: der Arbeit fehlt, ebenso wie anderen Arbeiten
Evelyns aus dieser Zeit, durchaus nicht der Realitätsbezug. Und sie
ist nicht bukolisch, malt keinen Arkadien, keine harmlose, idyllische Spiel-Welt
kindlicher Phantasie. Sie ist hart, erwachsen; ihre Komik beunruhigend;
ihre experimentelle Formensprache, welche das Figurative und zugleich Vereinfachte,
Verfremdete, vielleicht Metaphorische kombiniert mit dem Aufbrechen der
Zentralperspektive (die Multiperspektivität, also, und die surreale
Aufhebung naturalistischer Abbildungsstrategien in Abgrenzung vom kühlen
Formalismus und der „reinen Idee“ der Abstrakten) – das konterkariert alle
Versuche, diese Kunst festzulegen auf eine der damals gängigen Strömungen.
Aus dieser Zeit, erinnere ich mich, gibt es visuelle „statements“
des Künstlers gegen den Vietnam-Krieg; später, in der zweiten
Hälfte der 80er Jahren, nimmt er Teil an einer Ausstellung im Karman
Auditorium der Aachener Universität, die Werke umfasst, in welchen
Künstler Stellung beziehen gegen die Nachrüstung, die zunehmende
Zuspitzung der Konfrontation in Europa und der Welt.
„Burning Cloud“, ebenso wie „From the Frying Pan into
the Fire“, sind schmerzvolle Arbeiten; die letztere angestoßen vom
Verbrennen der amerikanischen Astronauten in der Challenger Raumkapsel.
„Burning Cloud“ zeigt eine Silhouette – weibliche Form,
halb Mensch, halb Wolke – schwebend in der Leere, partiell eingefaßt
von einem aggressiv rotflammenden Farbrand. Abstrakt? Nein: Figurativ,
sage ich. Die Reduktion, die Verfremdung steigert nur unsere Perzeption
des menschlichen Körpers, begriffen und sinnlich fassbar gemacht in
einem unerhörten, aggressiven, unfassbaren Schmerz, der nicht propagandistisch
einem bestimmten, konkreten Anlaß zugeordnet ist (wie in der Kunst,
sagen wir, mancher sozialkritischer Realisten), sondern der die condition
humaine in unserer Zeit, einer bösen, brutalen, oft auch
gewaltsamen Zeit, in ganz eigener Weise auf den Begriff bringt.
Es gibt Arbeiten dieses kanadischen Künstlers, die
meine These wenn nicht der Unwahrheit überführen, so doch extrem
zu konterkarieren scheinen.
Da ist etwa das Gesicht seines Vaters, auf dem Porträt,
das ihn zeigt in kanadischer Militäruniform (Father I, ca.
1998). Ich sehe eine Erinnerung des Kindes Angelo, sehe die stille Trauer,
nicht Heroisierung; einen verhaltenen, nachwirkenden Schmerz, echogleich
lebendig in dem erwachsenen Künstler und in dem Bild. Dieses visuelle
Gestalt annehmende Erinnern aber gilt dem zu früh Verstorbenen, dem
See-Offizier der Handelsmarine, der im Krieg, eingesetzt auf
Geleitzugfahrten im Nordatlantik zum russischen Murmansk, Sympathien für
die Menschen jenes geschundenen, von den Nazis angegriffenen Landes im
Norden Europas zu empfinden begann. Der Erinnerte, die Erinnerung, werden
eingetaucht in ein unwirklich glühendes Grün; vielschichtig;
irritierend wie das Leben des Dargestellten, ist auch das Bild. Realistisch
auf eine verunsichernde Weise; nicht wie jenes Pop-Art Abbild von Mao,
konvertiert zur bloßen Oberflächen-Ikone, das ein amerikanischer
Künstler schuf, und das sich, säkularisiert, in der suggerierten
Trivialität des Konsumfetischs um sein „Heilsversprechen“ gebracht
sieht. Sondern, in entgegengesetzter Richtung, ambivalent gemacht, vieldeutig,
aufgeladen mit persönlicher Emotion, welche jede Oberfläche von
Heldengedenkphotos oder hinterfragten Idolen der consumer society desavouiert.
Später, in den Norwegen-Bildern, taucht der Schmerz
um den Vater, den Atlantik-Fahrer, wieder auf: die Wale zerlegt zu Stückwerk,
die Schiffe aufgeschnitten, segmentiert, Frachter, Walfangmutterschiffe,
U-Boote erscheinen als Seitenansichten und Aufsichten – diagrammartig.
Ein zugleich harter und stark expressiver Konstruktivismus
enthüllt sich hier, auch in der medialen Mischung von Druckgraphik
und Malerei. Die Wunde wird aufgerissen, der See, die so viele verschlang,
der Erinnerung persönlicher und gesellschaftlicher Erfahrung; das
vermischt sich mit der Rauheit der Landschaft, mit der ökologischen
Katastrophe, dem Leerfischen der Meere, in die eine Fischfänger-Nation
wie Norwegen so tief involviert ist.
North Sea Landscape
Diese leuchtenden Blaus und Rots, diese starken linearen
Elemente indizieren das Rohe, die Traumata, reißen das Loch in die
Oberfläche der Erscheinungen; so malt keiner, so zeichnet und druckt
keiner, der das Idyll sucht, die friedliche Form der Natur und der Boote
und Menschen, in jenem Norwegen, dem Angelo Evelyn in Trondheim begegnete.
Trondheim überlagerte sich – in seinem Bewußtsein,
in diesen Arbeiten – mit Kanada, und die Gegenwart mit der Vergangenheit.
Ein komplexer, antinaturalistischer, schneidender, das
Verborgene öffnender und doch nicht plakativ offenlegender Realismus
trat hier an’s Licht, lesbar dem, der die Werke zu lesen versteht: nicht
als pures Experiment um seiner selbst willen, als artistische Spielerei,
l’art pour l’art, unterwegs zu immer größerer Abstraktion, sondern
als Reflexe einer vielschichtigen, zeitübergreifenden Wirklichkeit.
In den Arbeiten der Elgin Marbles Serie –
darunter Arbeiten wie „The BM Celebrates the Millenium“, „The Millenium
Project“ und „Going Out With A Bang Not A Whimper“ (alle entstanden
im Jahr 1997) – entdecke ich, entdecken wohl nicht wenige Betrachter,
eine große anarchische Freude an der Verfremdung eines realen Eindrucks:
jenes der im British Museum aufgestellten Raubstücke, die Lord Elgin
mitbrachte aus Griechenland, von der Akropolis.
Der Umgang mit dem hehren „Erbe des Westens“ ist kaum
staunend und ehrerbietig; er ist surreal und ironisch; die der Pop Art
entlehnte Bildsprache steigert jedoch in ihrer scheinbaren Nüchternheit,
und dank der Momente des Konstruktiven und der Collage, das pure
Vergnügen an der Anarchie, das bereits manchem pop artist, etwa Roy
Lichtenstein, anzumerken war, zu etwas Neuem: einem sozialen Kommentar
zu den Millenium Feiern in jenem London, in dem Angelo so oft weilte in
der Zeit, als er das British Museum und die Elgin Marbles, die durch
Lord Elgin dem britischem Empire übereigneten, klassischen griechischen
Marmorfragmente, aufsuchte.
View From Lord Elgin's Pathfinder (1997)
In der Arbeit „A View from Lord Elgin’s Pathfinder“ (1997)
ist die Distanz zur Zelebration der Kultur im British Museum und zur selbstgewissen
Feier der globalisierungsgeprägten Jahrtausendwende noch fortgeschrieben:
die selbstgewisse Exploration des „Weltraums“, der Technik-Fetischismus
werden einbezogen in die Merkmale der kritisierten, einer ironischen Distanzierung
anheim fallenden Kultur und Zivilisation unserer Zeit.
Meiner Behauptung eines Engagements steht anderes entgegen,
ich weiß: die Erinnerung, an den Ort – die Orte – der Herkunft. Salt
Spring Islands; Canadian Island; die Welt so nah und doch so fern der Metropole
– Vancouver. Brennende Silhouetten von Bäumen. Die friedliche Insel.
Ich sehe darin aber auch das Gegenbild, die Trauer und
den Protest. Trauer um die Fragilität, die fragliche Fortdauer dieser
Refugien: nah einer schnellen und kommerziellen Welt, und so am Rand dieses
sich ausbreitenden Kosmos, in ihren Bann längst gezogen, gebraucht
als kuratives Gegengewicht; vielleicht nur: als Palliativ.
Daß aber dieses den Elementen Nah-Sein eigenen,
nicht-kommerziellen, nicht wertmäßig in Dollar und Euro benennbaren,
nicht quantifizierbaren Wert hat, ist auch der Wahrnehmung dieser Gegenwelt
zu entnehmen; insofern spricht sie, per Implikation, als ein Anderes auch
von dem Anderen, das in ihr abwesend scheint.
Ich komme jetzt, indem ich den Blick auf einige neuere
Arbeiten richte, zum Schluß.
Über die Druckgraphiken der Weather Map Serie,
ihre oft kühle Ästhetik, habe ich an anderer Stelle schon gesprochen
(vgl. die Einführung zu der Ausstellung von Angelo Evelyn im Atelier
’t Gooi in Hilversum).
Was mich heute interessiert, ist jenes neue, malerische
aber auch druckgraphische Werk, wie ich es – die formalen, thematischen
und medialen Varianten vergleichend – in Arbeiten wie „Wild West
Scene“ , „Wildwest Sphinx Landscape“ und „Industrial
Sphinx Landscape“ (alle 2002) vorfinde.
Wild West
Landscape
Es ist, als sähe ich Einzelbilder aus einem Film
von John Huston: Misfits – Den kargen,
lichtüberfluteten, fast überbelichteten Westen
der USA; eine Welt der Vergangenheit; eine Welt trauriger individualistischer
Träume; auch eine der shoot-outs in den Western, etwa John Fords.
Diese Ikonographie ist hier plötzlich aufgenommen,
wiedergeboren in Lokomotiven und Leere des Raums und Bergen, die mutieren
zu Sphinxen.
Abstrakte Kunst ist dies nicht; die Reduktion in Form
und Farbe, im Einsatz der Mittel dagegen unverkennbar.
Ich habe diese Arbeit, darf ich sagen, als Ausdruck der
Sehnsucht nach Einfachheit erfahren, als intensivste Nähe zur Poesie
der menschengemachten Dinge wie der Natur. Ein Feld ein Berg, Gleise, eine
Lokomotive. Als sei dies in unserer Welt virtueller Bilder und hochkomplexer
Verhältnisse, in unserer Zeit der Mikroelektronik und Tomahawk Lenkwaffen,
der weltumspannenden Fernsehketten und Finanzströme, eine Welt, wie
sie sein könnte und sollte. Betastbar, und mit ihrem Zauber der Dinge
– flüchtig und doch unglaublich präsent; nicht virtuell
und abstrakte Funktion; reduziert auf Instrumentelles.
Auch darin scheint eine Kritik auf, ein „Kehrt um!“, eine
Wut, eine Trauer. Ein Aufzeigen des Anderen, scheinbar Rückwärtsgewandten
– und doch hindeutend zur Zukunft, die nur als angeeignete, als der Entfremdung
enthobene, als haptisch, poetisch und visuell zurückgewonnene Nähe
/ der Orte, und Menschen, und Dinge / uns nicht entgleiten wird.
(Juni 2003) |