Andreas Weiland
SKULPTUREN, OBJEKTE, INSTALLATIONEN
Tafeln. Stahl oder Eisen -
rauh wie Schiefer. Oder Schiefer, mit dem matten Glanz unpolierten Stahls
oder Eisens. Dünn, im Anbetracht des Formats, im Vergleich zu
ihm. Dabei groß, hochformatig. Seriell aneinander gereiht, nebeneinander
lehnend, schwer. Dort, an der hohen weißen Wand, die den Hintergrund
bildet, den Kontrast. Leer und weiß ist die Wand, wie Museumswände
sind, wie die Leere, die Stille, bevor etwas ist. Die Tafeln sind. Ungleich
in ihrer Höhe, nicht wirklich rechteckig. Etwas wie Fundstücke,
nein herausgehauenes Material aus dem Steinbruch, etwas vom Lager mit den
großdimensionierten, flachen, kürzlich herausgehauenen, noch
unbearbeiteten Plattenkalk-Blöcken. Wie wenn es so wäre? Das
Bild der Objekte, dort, im Ausstellungraum des Museums, verrät nichts
über das Material, läßt nur Gedanken zu, an das, was sein
könnte.Ich kann nicht sehen, auf dem Photo, ob die dunkle Fläche
auf jeder der Tafeln, die sich mit jenen der anderen Tafeln zu einer rätselhaften
Figur oder Chiffre verbindet, aufgeätzt, oder aufgemalt oder in anderer
Technik zur Erscheinung gebracht – oder ob es aus dem flachen, helleren,
die eigenen eigenartigen Seinspuren zeigenden Untergrund hervorspringende,
flächige Blöcke sind. Sie erzählen, will es scheinen, eine
fortlaufende "Geschichte" – DOCH WELCHE? Die ihres Seins? Ihrer Entstehung,
samt all der eingeflossenen Arbeit, die diese Spur hinterließ?
An der Wand eines anschließendes
Raums "lehnt" – nein, steht – sicher befestigt eine weitere großformatige,
vermutlich auch recht schwere Skulptur. Hier sind die als Bild-Träger-MATERIAL
fungierenden, dicht an dicht nebeneinander aufgestellten, hohen und dabei
vergleichsweise schmalen Tafeln dunkel und auf ihnen erhebt sich, reliefartig,
das chiffrenhafte hellere, aus der Aneinanderreihung von relativ flachen
Materialblöcken bestehende, mich jetzt entfernt an futuristische Zeichungen
erinnernde "BILD". Es erscheint mir auf den ersten Blick wie "inhaltslos",
NÄMLICH ALS NICHT-REFERENTIELL, zugleich auch als enigmatisch. Wie
im Holzschnittverfahren scheint der umgebende Stein oder Stahl, vielleicht:
das Eisen, vielleicht auch: das Holz, weggeschnitten. Oder vielleicht (wer
weiß?) hat der Künstler, ein wirklicher craftsman, der das Handwerk
versteht, jene helleren Blöcke auf die den dunklen Untergrund bildenden
penibel aufgesetzt?
Vor einer anderen leeren Wand, in einem anderen Raum, nur als Fiktion zugänglich, auf dem vor mir existierenden Foto, sehe ich seriell aufgereiht, schwer und leicht zugleich, messerscharf wie Beile, bedrohlich wie Haifischzähne, drei Objekte (aus Eisen) vor mir stehen. Sie bilden – fraglos ist dies so, will mir scheinen – eine aus ihrer Kombination erwachsende SKULPTUR; etwas Glänzendes, das Licht reflektiert. Oder ist es "nur" die sich aus der Bearbeitung des Materials ergebende "Maserung": das ÜBERRASCHENDE Muster (das "pattern"), die IN IHREN VERÄSTELUNGEN MAGISCH WIRKENDE MASERUNG DES METALS, die den im Raum präsenten, vom Künstler geformten Blöcken den Anschein eisgleicher Durchsichtigkeit verleiht? Die FORM aber, die erzeugte, beunruhigt
in ihrer Ruhe und Vorhandenheit, so wie das vorhandene Henkerbeil beunruhigt
und dieses Wissen um den Haifisch, die Haie, dort draußen in der
Bucht, dem Schwimmer am Strand jenes ungewisse Frösteln beibringt,
das keine Vernunft verjagt.
Was aber die hervorspringenden,
in den Raum hineinragenden "scharfen Zähne" betrifft – von oben
ihre Spitze in die Luft unter sich bohrend, von unten scharf in den Raum
über ihnen ragend – , was fange ich mit ihnen an? Was erzählen
sie, ohne das ihnen Worte zueigen oder auch nur einbeschrieben sind,
was, in ihrer von Objekt zu Objekt wechselnden Gestalt, was,
von der Härte und Schärfe des Materials, aus dem sie gemacht
sind, und was von den Ängsten und Träumen, die, kollektiv
(will es scheinen) in uns virulent...?
Wenn Riesen uns bombardierten, mit ihren Spielzeugen - riesigen eisernen kubusförmigen Objekten... Wann wird eine Skulptur zur land art? In ihrem – durch ihr – Arrangement? Das Rostrot der eisenen Oberflächen, die Spuren verwaschenen, blassen Blaugraus, das fahle LICHT EINES KÜHLEN MITTELEUROPÄISCHEN SOMMERTAGS: alles wird Teil dieser Installation, bestehend aus den drei Kuben, unregelmäßig auf dem Rasen des (Skulpturen?-) Parks verteilt, so wie das Grün des Rasens und der Bäume Teil des Kunstwerks wird. Wie eingegraben in den Boden, nein wie aus Himmelhöhen herabgestürzt und sich ein Stück weit in den Boden bohrend, so wirken zwei der Objekte. Der Betrachter kann nicht ausmachen, ob es sich bei jenen beiden Objekten tatsächlich um im Boden steckende Kuben handelt oder um Gegenstände, die die Kubusform nur suggerieren. Das Vorhandenseins eines dritten, tatsächlichen Kubus aus Eisen, der dort ruhig auf dem Rasen ruht, veranlaßt die Imagination, drei Kuben zu sehen: gleich groß; gleichartig, in Material und Farbe. Die Bäume im Hintergrund geben uns eine Vorstellung von der beträchtlichen Größe dieser rätselhaften Objekte, die uns anblicken, die uns herausfordern, in ihrer wie zufallsbedingt auf den Betrachter wirkenden Situierheit & Kombination, selbst wo diese ästhetisch als richtig erspürt und insofern "kalkuliert" ist. Die Installation löst Gefühle, Gedanken aus. Was bedroht uns? WELCHE OBJEKTE KREISEN ÜBER UNSEREN KÖPFEN – in der Lage, in der nächsten oder übernächsten Sekunde, vielleicht auch, in nicht gezählten Jahren, auf uns herabzustürzen? Haben wir es nicht längst alle
gewußt und verdrängen es bloß? UND DIE SKULPTOR AUS GROSSEN
EISEN-KUBEN ERINNERT UNS UND BRINGT ES AN'S LICHT?
EISEN IST EISEN und Stoff ist Stoff.
Und die Materialqualität, das So-Sein des Materials – der jeweiligen
Materie, die in es, das Rohe, noch Ungeformte, und dann in
die Skulptur – Eingang fand, spricht zu uns? Es, das Rohe, das So-SEIN
der MATERIE, sprach auch zum Künstler. Provozierte je andere "Sujets"
- verlangte andere Weisen der Auseinandersetzung; andere Strategien, Verfahren,
Kunstmittel; andere Arbeitsweisen. Und, wenn es sie gab, ganz
bewußt: andere Konzepte.
Die Wendung zum Alltag, zum objet trouvé haben uns die Surrealisten vorgemacht. Die allerdings einen nicht nur poetischen, sondern oft auch einen uns heute pathetisch erscheinenden Sinn für "das Wunderbare" hatten und längst nicht mit jedem Objekt vorlieb nahmen. Duchamps machte Schluß mit dem Pathos der Poesie, als er die Schönheit des Pissoirs, des Pißbeckens entdeckte und uns vor Augen führte. Das, was daran das Publikum der Spießer störte und die Sache zum Skandal machte, war der den Dadaisten abgeschaute Spaß am Schockieren. HEUTE entdecken wir die Schönheit eines Ensembles, bestehend aus alltäglichen Kleidungsstücken, die ihrem Alltagskontext enthoben sind, und erscheinen keineswegs schockiert. Daniel Spoerri und Tony Morgan konfrontierten uns zu Anfang der 70er Jahre mit ihren EAT ART Objekten. Von hier führt der Weg zu Urs Jaeggis Installation. ES IST EINE SKULPTUR, ohne Frage, die den Boden des Raums – mit der in der linken Ecke liegenden, halb aufgerichteten, wie hingeworfen wirkenden Hose – mit einbezieht. Und die weiße Wand, und das Licht des Scheinwerfers, der auf sie fällt. Und die den Schwung einer Bewegung zelebriert, welche die Anordnung der dunklen Textilien auf der weißen Wand uns vorspiegelt: ein Aufsteigen und Fallen, ein Abstürzen, fast bis zum Landen auf dem Boden. Eine abstrakte Skulptur entsteht so: geformt aus found objects, Dingen des Alltags. Arte povera? Rückkehr zu den
einfachen Dingen, den basic devices of art?
Gesteigert scheint das Prinzip,
das Verfahren, die Applikation des Kunstmittels, wird von dem man-made
object – der Hose, den Hosen, den Kleidungsstücken
– der Schritt gewagt zur Integration der Natur in die Kunst, zur
Erzeugung der Installation oder Skulptur aus gefundenen, schon halb verwelkten
Blättern. Der visuelle Effekt ist pure Poesie. Die Definition der
Skulptur ist auf die Spitze getrieben, radikalisiert. Die Blätter,
an der Wand, nur hier und da noch Spuren von Rot und Braun verratend, sind
zu schwarzen oder doch schwärzlichen, nahezu abstrakten Hieroglyphen
geworden. Magisch. Geheimisvoll. Ihres Ursprungs und ihrer Naturhaftigkeit
entkleidet. Und doch, etwas davon bringt sich unbewußt zur Geltung.
Wie eine Trauer. Ein Vergehen. Ein sich Aufbäumen, das an Leben und
Jubilieren erinnert. Diese Blätter schreiben ihre Botschaft an die
Wand, Zuschauer: Lies sie.
In die Natur, in Offene, Außen gestellt: zwei Objekte, zwei ausgehängte, weiße Türen. Die eine, gelehnt an einen Baum, läßt durch in sie eingelassene Scheiben ein Stück des Baumstamms und Grün im Hintergund erkennen. Es ist, als nähme man so die Natur anders, distanzierter, als fremd, fremdartiger, befremdender wahr. Und überhaupt, das weiß der Türen, und ihr Vorhandensein, hier: wohin, fragt es sich in mir, öffnen sie sich denn – in welche WELT, die da ist und an der wir stets so gleichgültig vorübergehn, die wir durchrasen oder durchschlendern, ohne etwas WIRKLICH ZU SEHEN und – vielleicht sogar? – ein wenig zu ertasten, und dann zu verstehen? Die Bäume, ihre Anordnung..., die Türen, BEZOGEN AUF DIESE BÄUME – drei, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, nein vier (und der vierte, fast verdeckt): das ist das Ensemble, das die Skulptur bildet, eine Skulptur der Imagination, in Wahrheit wohl eher eine Installation. Nicht weit davon, umgeben von weißlich gelbem, von der Sonne verdorrten Rasen, der mit dem Grün des Grases unter den Bäumen und mit deren Grün kontrastiert, sehe ich eine kreisrunde; AUS STEINPLATTEN BESTEHENDE FLÄCHE. Ist auch sie Teil dieser Installation, mit ihren gleich Kegeln einer Kegelbahn aufgestellten SCHMALEN, KURZEN BAUMSTÜMPFEN? Magritte hätte durch diese Fenster der Tür schauen, hätte diese Welt MIT IHREN LICHTREFLEXEN, IHREM LICHT, ihren Formen, Farben, Gerüchen, ihrer ERTASTBARKEIT entdecken und sie uns zeigen können. Vielleicht hätte er sie gemalt
oder photographiert, oder von ihr erzählt, dieser Welt. Die Erzählung,
hieße sie "Bedrohte Schönheit"?
P.S.: Die Bildunterschriften geben oft die Namen der Projekte oder von
Ausstellungen wieder, in denen diese Werke gezeigt wurden. Ob die Arbeiten
einen Titel haben, bleibt damit offen.
http://www.art-is-art-is-life-is-art-is-life's-echo-is-art-Is-art's-echo-is-life-is-death-and-life.htm
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