Andreas Weiland
 
Die Metamorphosen für Mezzosopran und kleines Orchester 
Dieter Schnebels, uraufgeführt in der Neuen Galerie in Aachen

Dieter Schnebels Komposition Metamorphosen für Mezzosopran und kleines Orchester – uraufgeführt in Aachen im Januar 1990 – besteht aus acht Teilen. Auffallend sind die Brüche, die Montagetechnik; auffallend ist aber auch die Autonomie jedes einzelnen Klangs, ihre Präsenz, die, eingeschmolzen (oder besser: „aufgehoben“) in’s „Ganze“, zu einer eigenartig intensiven Spannung hinführt; unvergleichlich spürbarer als die gedämpfte Dynamik, die Wohltemperiertheit der Kontraste, wie sie aus der am gleichen Abend aufgeführten Musik Mozarts sprach. 

Die Musik Schnebels ist fraglos zeitgenössisch, modern in ihrem Insistieren auf dem Fragmenthaften, Unvollendeten der Teile wie des Werks als provisorischem – dann auch mehrere Fassungen erlaubenden – Ganzen, welches doch solch große Sehnsucht nach Schönheit, Harmonie und Vollkommenheit verrät.

Das Stück beginnt unspektakulär: Klangfarbe stark ins Spiel Bringendes, vielleicht Obertöne? Dunkles, das sich hinentwickelt zu helleren Timbres, Ansätzen zu Melodien, vielfach von minimaler Lautstärke – ein Hinhören erzwingend, Konzentration, während sich das wandelt und wird zu gleichsam utopischen „Fetzen“, Klangfenstern, durch die man „wehmütig“ blickt in ein Anderes, Neuland. Als er-öffne das Stück sich – und uns – mit diesem musikalischen Material und dem Zugriff darauf eine „andere“, fast schon körperlich nähere Klangwelt, die so selten erfahren so unsagbar schön erscheint. Francis Ponge hatte gewusst, wie sehr der Dichter die WORTE, ihren Klang, wie Dinge betrachtet, jedes davon geliebt und keines nur Werkzeug zum Transport des Stroms der Ideen und Gefühle, So auch hier... 

Diese Erfahrung klingt nach, verdoppelt sich im Hereinbrechen der Stille, die plötzlich einsetzt, sich offenbart in ihrem präzisen Akutwerden als der Raum, in dem Klang wird, nachklingt und vergeht...

Diese Stille, jedes Mal den abbrechenden Stücken folgend, ist zweifellos ein wesentlicher Bestandteil des Werks, etwas, das ihm „Weite“ gibt, wie mir scheint.

Mit dem dritten Teil: das Zitat, der Schlager. 
Was beim flüchtigen Hinhören lebhaft, beschwingt wirkt, offenbart sich letztlich als mechanische Parodie oder Parodie des Mechanischen. Folie letztlich, sich selbst enthüllend, vor deren Hintergrund, was der Spießer „Katzenmusik“ nennt, in seiner präzisen unaufdringlichen Schönheit hervortritt.

Als es abbricht, plötzlich – angespieltes Zitat, das den oder jenen mitreißen mag, damit er dann um so sicherer herausgerissen wird, aus diesem Mitschwimmen in der Welt der Alltagsklänge (Musik zur „Unterhaltung“, integriert, und zwar brüchig, in das Stück) – setzt, nach der Stille, eine ganz anders geartete Musik ein; so viel lebendiger, in ihrer scheinbar größeren Gleichförmigkeit, will sagen, dem Verzicht auf die eingängige Melodie, das Gefällige, Glatte. Aber dabei vielfältig in dem Rückgriff auf ungewohntes Material. Zugleich wie erfüllt von Trauer. Antipode und wohl auch zugleich Kommentar, zu dem vorhergehenden Schlager-Zitat.

Nachdem zunächst der Kontrast zu dem Schlager gesucht war, ist im nächsten Teil jenes Schlager-Zitat wieder präsent. Aber wie! Transformiert. Spröd. Reduziert auf ein verfremdetes Anklingen-Lassen, wie bei Rzewski (ein wenig), wenn er El pueblo unido jamas sera vencido (aber immer wieder anders) verfremdet.
Die Schlager-Melodie, ein Fetzen von ihr, umgeformt, wiederholt in mehrfachen Verschiebungen, ohne alles Glitzern:  gu tou (Knochen) würden die Chinesen sagen. Das Essentielle, von dem das „Fleisch“ entfernt ist. Das, an dem man zubeißen kann, nicht geblendet von der Warenästhetik der Pop-Musik.

Danach erinnere ich mich – an die Stimme. Ihr in die Stille Einbrechen. Auch sie wie ein Zitat. Italienische Opern-Arie. Aber nur entfernt, dem musikalischen Gestus nach. Sie verhält sich gleichsam kontrapunktisch zu den „Stimmen“ der Instrumente, die auf sie antworten, nie sie verdoppeln. Sie begleiten.

Im nächstfolgenden Teil: wieder die Stimme! Wie plötzlich sie abbricht!
Träger einer extrem kurz angespielten Melodie...

Wie anders dann, im letzten Teil, erklingt diese Frauenstimme! Als das Instrument des Körpers,  das so reine Klänge, so reine Musik produziert. Sich angleicht, der Reinheit der Klänge, die die Instrumente produzieren.
Das wächst auf einander zu: diese Schönheit, eines nicht mehr „traditionellen“ Vorstellungen von „Melodie“ und „Sprache“ verhafteten Vokalgesangs, und die verwandte Klarheit der „Stimmen“ der Instrumente, die – eruptiv – ihren Ausdrucksreichtum ergründen...

Das Ensemble, der Dirigent – Yoram David – und der Komponist erhielten zurecht großen Applaus. 
 

10.1.1990
 
 

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