Spät entdeckt : Wuppertals
Tanztheater
Pina Bausch jüngstes Stück
– wie weit reicht es zurück, bis zum Expressionismus? Wie weit nach
vorn – bis zum Neo-Naturalismus der US-amerikanischen Avantgarde, in der
bildenden und Theater-Kunst (über Warhol zu Bob Wilson...)?
Und en route, nicht links liegen gelassen, Impulse des Surrealismus
von, ausgerechnet, Dali! Aber ist da auch die Sachlichkeit eines Duchamps,
der banalste Objekte isoliert, ihre poetische Schönheit entdecken
läßt – mit ihr uns konfrontiert, in einem radikalen Bruch mit
allen gängigen Vorstellungen über Kunst und Leben?
Ich muß zugeben, es ist das
erste Stück des Pina Bausch Ensembles, das ich sehe, nachdem ich in
den siebziger Jahren mit der Tanzkunst von Yün Men Wu Ji (The Cloud
Gate Dance Theater), mit Alvin Ailey, kurz davor mit Cunninghams Improvisationen
konfrontiert war, dann auf einen Zeitungsartikel über das Wuppertaler
Tanztheater stieß und doch, da im Ausland, keine Möglichkeit
fand, die Arbeiten dieser Choreographin, dieser Tänzerin, und ihrer
Gruppe kennenzulernen.
So bin ich bemüht, an dem Abend
der ersten Konfrontation immer wieder Erwartungshaltungen zu relativieren.
Es ist sichtbar, daß nicht „getanzt“ wurde oder nur in sehr sparsamen
Andeutungen, reduziert auf eine in ihrer stachligen Sprödheit
sehr fremde, kühle, zeitgenössische Körpersprache.
Der Fluß, die großen
Bewegungen, die rasanten Sprints, die Akrobatik von Körpern, die Stilisierung
einer an Martha Graham geschulten Weise des Tanzens, wie ich sie von Lin
Hwai-Mins Gruppe kenne, wo etwas „Westliches“ („Ausdruckstanz“) synthetisiert
ist mit symbolischen Formen der Peking-Oper, das vermisse ich unwillkürlich
vor dem Hintergrund meiner bisherigen Rezeptions-Geschichte. Ich suche,
finde nicht, jene Kürze und Prägnanz von Tanzstücken, nicht
den Wechsel von Tempo und Stille, von Dichte und Leere, höchster Konzentration
der Tänzerinnen, der Tänzer und Auflösung, Abwesenheit;
das Gehetzte und bis zum höchsten Grad der Meditation Ruhige; die
„Einkehr“.
Was ich spürte, war ein Hang
zum Wagnerischen Gesamtkunstwerk, wie ich es auch wahrnehme in Arbeiten
von Wilson: eine moderne Äquivalenz oder zumindest Affinität
von Zerrissenheit des zeitgenössischen (bürgerlichen?) Subjekts
und ästhetischen Mitteln. Unverkennbar zerrt die Collage-Technik dieses
Arbeitens, das uns die Choreographin Pina Bausch, dass uns die Tanz-Praxis
dieser Gruppe vorführt, den Alltag auf die Bühne: stilisiert,
transformiert mit den Mitteln der Kunst, werden wir etwas gewahr: seine
KÄLTE, seine DISTANZEN, seine AGGRESSIVITÄT, seine seltenen Momente
der ZÄRTLICHKEIT, seine DROHUNG und sein ENDZEIT-PATHOS. Und all das
ist gegeben, ist sichtbar in einer künstlerischen Form – der des aleatorischen,
immer wieder durchbrochenen Flusses – als eine Reihung von Tableaux voller
poetischer Dichte, die sich immer wieder auflöst in kühles understatement.
Ist es der Baudelaire’sche Flaneur, dem wir – in vielfältige
Tanzfiguren aufgespalten – begegnen? All dieses Hin und her erscheint
mir als konstitutiv für das Stück, das manchmal nicht mehr ist
als ein mehr oder weniger deutliches, kaum stilisiertes Flanieren auf der
Bühne. Und dann ist da, unverkennbar, die Integration der Tänzerinnen,
der Tänzer in Bilder; Bilder, die wirken wie Zitate; bewegte Bilder
– aber auch Bilder äußerst sparsamer Bewegung.
Sieh nur, möchte ich sagen,
die Frau dort, in Schwarz – die kleine, voller Temperament, das Widerstandskraft
erahnen lässt: Ist sie nicht wie eine Gestalt aus einem Film Pasolinis?
Und doch, beherrscht von einem Mann. Der sie mitreißt – grob, am
Arm. Der sie reduzieren will – auf die Kind-Frau, die sie nicht ist. Sichtbar:
ihre sexuelle Aggressivität, ihre Solidarität mit und Todfeindschaft
zu den Frauen, also auch sich. Ist e Penisneid, der sie dazu veranlasst,
sich die Kola Dose vor das Geschlecht zu halten? Sie nähert ich damit
einer anderen; bleibt dennoch fixiert auf sich selbst. Einsam, in ihrer
Liebe zur Liebe, ihrer Sehnsucht danach. Der unbekannte Andere ist der,
der nie kommt – oder nur kurz vor dem Schluß des Stücks, als
er sich zu ihr setzt: in einer ungekannten Zärtlichkeit zu ihr spricht:
Zwei
und zwei ist vier. Sieben und sieben... Es könnte irgendwas
sein, das es sagt. Es liegt in der Stimme. Die Distanz ist der Nähe
gewichen: einem Gleichklang, der anhält. Vielleicht nicht nur, bis
er geht...
Die Zitate waren offensichtlich?
Der Schrank – war es nicht der von Polanskis „Zwei Männer mit einem
Schrank“? Und war da nicht auch die Frau, die übersetzt, zwischen
Samuel Fuller (der sich selbst spielt) und einem Anderen, einem Narren
- Pierrot? Wiederentdeckbar, so erschien sie mir, in den Schreien,
im Liegestuhl...
Die Klavierepisode: da ist sie,
seht sie nur, die dunkle, wie blind wirkende Frau, deren Revolver immer
wieder losknallt.
Unzweifelhaft könnte auch das
ein Zitat sein? Crevel?
Und wie dann die Furien, in schwarz,
wie aus einer griechischen Tragödie entnommen, auf die Bühne
stürmen in einer Art Todestanz!
Während, zum ersten Mal, ganz
rechts am Bühnenrand, ein Mann durch einen Reif mit dem Kopf gegen
die Wand zu springen scheint – wieder und wieder... Es erinnert mich sofort
an jenen last dance, letzten Tanz, den Werner Schroeter in „Eika
Katappa“ einen Mann und eine Frau, von Kugeln getroffen, auf der Straße
tanzen lässt. (Dies selbst, ein remake beinah, verdoppelte
es nicht und transformierte zugleich die Schlusssequenz in „Außer
Atem“? Und war doch wagnerischer, deutscher, melodramatischer?)
Der Helicopter, wenn die Party sich
auflöst unter jener Substanz, die – einem Agent Orange gleich – auf
der Bühne versprüht wird: war nicht auch das Zitat: aus der Wirklichkeit
von El Salvador, Guatemala, Bolivien?
Ja, diese Art der Collage ist sehr
deutlich Ausdruck einer Arbeitsweise, die eine locker geknüpfte, vielfältigste
Assoziationen erlaubende Einheit des Stücks hervorbringt. Es läuft
hinaus auf ein Stilmittel, das schon der Titel des Stücks, in seiner
ganzen Polysemie, andeutet: AHNEN. Es erfordert ein Bühnenbild – eine
leere Kakteenlandschaft – die den Tänzern und Tänzerinnen immer
wieder erlaubt, auf der Bühne vom SEIN ins NICHTS zu treten, von der
SICHTBARKEIT in die UNSICHTBARKEIT und umgekehrt. Wir erfahren VERWANDLUNGEN,
Transformationen. Die Symbole einer Phallokratie sind die „Geisterhand“,
die man in China in ihnen sieht. Verankerungen einer Macht des Phallus
in den VERGANGENHEITEN DER KULTUREN.
Ich hab das gesehen, hier: die Folgen
davon, die uns erahnbar gemachten Folgen des Erbes der Ahnen. In einem
ENDZEITSTÜCK. Little Italy in Chicago, Mafia und Gewalt zwischen den
Geschlechtern. Und business, business as usual. Arbeit und „Liebe“ und
Krieg. Und das Stück, wenn es den Zuschauern etwas sagt, sagt es:
„An Ihrer Stelle würde ich mir keine Langspielplatte mehr kaufen.“
Time is running out, am Ende, isn’t
it?
Die Utopie schien nur kurz auf,
Der Mann, mit dem Palästinenser-Kopftuch,
kämpfend mit dem Stoff an der Nähmaschine, während die Frauen
seinen Bewegungen lachend folgen. Lebensfroh, und vereint, plötzlich
– die Menschen.
Dann noch ein Gegenbild. Die Variante.
Die letzte Hoffnung.
Ein Paar, in einem gemeinsamen
Akt der Produktion.
Er, an der Wand kauernd, singt
ein Lied. Sie – die aus ihrem Glassarg, ihrem Aquarium, die Arme herausstreckt
– spielt, auf einem alten Klavier, die Melodie...
Das Gefährliche, an der Ästhetik
Pina Bauschs, ist vielleicht, dass diese das Assoziative in uns so stark
hervorbringende, offene Form, diese von ihrem seriellen Konstruktionsprinzip
bestimmte Realisation nur noch angedeuteten Tanzes vor den Augen
des Zuschauers und in seinem Kopf zerfallen kann in häppchenweise
Konsumierbares, nur noch Spektakuläres.* Wird darum die – oft nostalgische
Assoziationen heraufbeschwörende (insofern allerdings auch zu vielem
im Stück „querstehende“) – Musik als „Krücke“, als „Kitt“ gebraucht?
Die Brüchigkeit einer Form,
die das eigentlich Subversive und Radikale dieses Tanztheaters ausmacht
– das, was dem Fühlen & Denken weite, offene Felder eröffnet
– wird vielleicht, in gewisser Hinsicht durch diese Musik überspielt;
sie wird geglättet, „konsumierbarer“ gemacht.
Und auch die „Pina, Pina, Pina“
Intonation am Anfang und gegen Ende des Stücks instrumentalisierte
eine fraglos in den heutigen Menschen, gerade im Westen, zweifellos vorhandene
Geilheit zu „konsumieren“ und „sich unterhalten zu lassen“, auf eine geradezu
schamlose Weise.
* Es entspricht dies einem fatalen Trend, zur bricolage, die
der Beliebigkeit des Verstehens, der postmodernen Kombinationslust, der
Absage an alle Klarheit des Denkens und alle diesen Namen verdienende Theorie
Vorschub leistet.
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